Literarische Leseecke – ,,Vater und Sohn“

Liebe Leserinnen und Leser,
unsere neue Rubrik startet mit einer Ballade von Berthold Schwarz aus der 12. Jahrgangsstufe. Viel Vergnuegen! Tho

Vater und Sohn

Zwei Gestalten ueber den Himmel fliegen,
Sich anmutig durch die Luefte wiegen
Den Vater erfuellt des Erfinders Hohn,
Jugendlicher Leichtsinn den armen Sohn.

Daedalus ward der Vater genannt,
War auf der Insel des Minos gebannt,
Mit Ikarus wollte er fliehen,
Sich der Gewalt des Minos entziehen.

So baute der Vater den Voegeln gleich,
Ein Fluggeraet aus dem Himmelsreich,
Er lehrte den Sohn die Kunst zu fliegen,
Wie ein Vogel auf der Luft zu liegen.

„Nach dem Mittelmaße sollst du streben,
Mit Vorsicht in die Luefte heben.
Flieg nicht zu nah ans Himmelslicht,
Das Feuer ueberleben kannst du nicht!“

Der Sohn jedoch war ein junger Mann,
der glaubte, dass er alles kann.
Voll uebermut er die Arme ausbreitet,
Sich fuer den Himmelsflug bereitet.

So begannen beide die Luft zu erfassen,
Die Erde langsam hinter sich zu lassen.
Wie Himmelsgetier flogen sie dann,
Flogen, wie kein Mensch es kann.

Der Sohn, der hoerte die Luefte rauschen,
Konnte der Stimme der Freiheit lauschen.
Von ihr geleitet flog er hinauf –
Der Feuerball zog ueber den Wolken auf.

„Ikarus, bleib fern vom Feuer,
Ikarus, bist mir doch zu teuer!“
Doch der Sohn wollte den Vater nicht hoeren,
Ließ er sich doch von der Stimme betoeren.

„Ikarus, merkst du nicht, dass du brennst?
Vor Leichtsinn in den Tode rennst?“
Doch es war zu spaet, der Luftstrom riss ab,
Und der Sohn stuerzte tief ins Meer hinab.

So suchte der Vater den Sohne am Land,
Und fand ihn – gespuelt an den Strand.
Er gab ihm auf die Stirn einen Kuss,
„Vorbei mein Sohn, ist dein Lebensfluss.“

Er nahm seinen Sohn und setzte ihn bei,
Und spuerte, sein Leben war auch vorbei,
Eine Traene lief ihm die Wange hinab –
Fiel – und versank in des Sohnes Grab.

Berthold Schwarz (26.3.2010)

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