Es war der 3. Juni als 5 Jugendliche, eingepackt in die wohl wärmsten Winterjacken, die auf dem Markt existieren, vollbepackt mit Koffern, Rucksäcken und der penetranten Sorge die Zahnbürste oder etwas anderes, wohl noch wichtigeres vergessen zu haben, aus der brühenden Mittagssonne, wo gefühlte 70°Celcius herrschten, in das aklimatisierte Gebäude des Frankfurter Flughafen liefen.
Dies war wohl der Moment, wo das bisher größte Abenteuer meines Lebens begann, als ich an einem für andere ganz gewöhnlichen Sonntag, 3 Wochen vor Beginn der heiß ersehnten Sommerferien um etwa 12 Uhr mittags in Richtung Gate für den Flug nach Santiago de Chile über Paris lief und mich gar nicht mehr ohne ein „Oh mein Gott – gleich geht es los“ am Ende des Satzes artikulieren konnte, vor lauter innerer Aufregung und wohl der größten Vorfreude, die ich in meinem Leben bisher erfahren habe.
Als ich dann endlich nach strapazösen, schlaflosen, aber auch sinnvoll von Netflix ausgefüllten 24 Stunden in Santiago aus dem Flugzeug ausstieg und schon vom Anflug auf die Landebahn den wohl schönsten Sonnenaufgang meines Leben über den Anden bewundern durfte, atmete ich zuerst einmal tief die frische, eiskalte und ganz fremd riechende Luft ein, die mir mit circa -5°C entgegenströmte und mir im Gegensatz zu den vorher schätzungsweise 15 Dosen Cola Zero und 10 Tassen Kaffee, feinster Flugzeugqualität ein wahres Gefühl von „wach“ vermittelte. Während unserem Lauf quer durch den Flughafen, bei dem mir mal wieder klar wurde, dass ich letztendlich doch die Sommertemperaturen präferiere, wurde mir erstmals klar, wie unterschiedlich die Autorität eines Polizeibeamten in Deutschland und in Chile eigentlich ist. Ich verzichtete lieber darauf, einem mich prüfend und zu gleich auch bedrohlich anschauenden Mitarbeiter mit deutschem Schäferhund an der Seite der größten Behörde (PDI) in Chile in die Augen zu gucken und versuchte mich lieber auf die Worte, welche aus dem Mund des Passkontrolleurs traten, zu konzentrieren, welche sich – um ehrlich zu sein – eher wie genuscheltes Gequake für mich anhörten. Super war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf ging – seit zwei Jahren sitze ich im Spanischunterricht, die absolute Sprache meiner Leidenschaft, die absolut schönste Sprache auf der Welt und ich verstehe von den ersten zwei Sätzen, die in Chile jemand zu mir auf Spanisch sagt absolut nichts, aber wirklich auch gar nichts. Wie sich herausstellte, wollte er wissen, wie es um den Wunsch der Einfuhr von pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln (was so ziemlich jedes einzelne Lebensmittel auf der Welt beschreibt) meinerseits steht. Dies ist in Chile schließlich offiziell verboten, allerdings hängt das Glück eines jeden einzelnen Reisenden und dem der Geschenke für meine Gastfamilie eher von der persönlichen Laune des Zollbeamten ab, der jeden einzelnen Koffer nach der Gepäckausgabe noch einmal durchleuchtet. In meinem Fall hatte dieser wohl einen guten Tag und hätte sich anderenfalls sicherlich auch mit einer Tafel echter deutschen Schokolade bestechen lassen.
Nachdem wir erfahren haben, dass unser Anschlussflug um über 7 Stunden nach hinten verschoben wurde, erklärte sich netterweise die Gastfamilie von Paula, die ihre nächsten Monate in der Hauptstadt verbringen sollte, bereit, uns über den Tag zu beherbergen.
Als wir dann 12 Stunden später schließlich endlich in dem Flieger weiter nach Concepcion saßen, hielt uns auf dem eineinhalb-stündigen Flug nichts mehr vom Schlafen ab und die laschen Sicherheitsbedingungen für Passagierflüge von Chile aus konnten wir alle nur noch müde belächeln: Abgesehen von der Tatsache das Flüssigkeiten, darunter beispielsweise eine volle Ein-Liter-Wasserflasche problemlos durch die Sicherheitskontrolle im Handgepäck mit ins Flugzeug geführt werden dürfen, wurde mein Handgepäcksrucksack gar nicht erst durchleuchtet und überprüft, ob ich Waffen bei mit trage.
500 Kilometer weiter südlich setzten die Räder unseres Flugzeuges (dem letzten des bereits angebrochenen dritten Tages Reisezeit) endlich auf dem kleinen, selten angesteuerten Flughafen in Concepcion auf, einer schönen Großstadt mit Lage am Pazifik. Nach dem lang ersehnten Wiedersehen mit unseren Austauschpartnerinnen und deren Familien und einem ausgedehnten Essen, natürlich Empanadas und typisch chilenisch ganz viel Fleisch und wir die nochmals eineinhalb-stündige Fahrtzeit mit dem Auto, einem Geländewagen ohne Heizung – um genau zu sein – überbrückt haben und endlich in Los Angeles angekommen sind, bin ich erst 12 Stunden später wieder aufgewacht in einem gemütlichen kleinen Zimmer mit Elektroheizung. Aufgewacht bin ich durch die Lautstärke der Telenovela im Fernsehen, welche die Haushaltshilfe meiner Gastfamilie jeden Tag mitfieberte. Eine solche Haushaltshilfe ist in Chile volkommen normal, selbst für gering verdienendere Familien, da die meisten auf die Option des selbstständigen Wäschewaschens und Kochens auf keinen Fall zurückgreifen wollen.
(Fortsetzung folgt)