Zum Ende dieses Schuljahres endet eine Ära am „Käthe“. Schulleiter Mervyn Whittaker und seine Stellvertreterin Inge Nickol verabschieden sich in den Ruhestand – in denkbar unsicheren Zeiten. Im Klartext-Gespräch reden sie über Corona, Handyverbot, Stress und Zukunftspläne.
Lieber Herr Whittaker, liebe Frau Nickol – Abschiedsfeier zu Corona-Zeiten, geht das?
Nickol: Wir beide möchten uns gebührend verabschieden. Die Zeit am Käthe war schön, intensiv und kreativ. Da geht man nicht einfach so still und leise.
Whittaker: Die Frage ist, wie wir das konkret umsetzen. Die Corona-Vorschriften klingen zwar ab, aber einiges an Einschränkung bleibt übrig. Und es gibt natürlich auch viele, die nicht zu hundert in einem Raum sein möchten. Wir sind noch dabei, da einen Weg zu finden.
Eine kleine Zeitreise: Im Schuljahr 2010/11 waren Sie, Frau Nickol, kommissarische Schulleiterin. Wie kam es dazu?
Nickol: Herr Vögeding, der Schulleiter davor, ist an das Pfalz-Kolleg nach Speyer gegangen. Das kam ziemlich überraschend, zu Beginn des Schuljahres. Und dann nahm alles seinen geregelten Gang: Der Stellvertreter – also ich – war an der Reihe. Das war in dieser Situation schwierig zu organisieren. Ich hatte gerade einen Französisch-Leistungskurs übernommen, hatte Bili-Klassen und volles Deputat – und nebenbei musste ich dann die Schule führen. Ohne die grandiose Unterstützung meiner Stellvertreterin, Frau Strantz-Dick, und die geniale Rückendeckung durch das gesamte Kollegium, wäre das schon heftig geworden. Aber ansonsten – machbar.
Und dann konnten Sie sich zurücklehnen?
Nickol: (lacht) Ja, dann kam ja Herr Whittaker!
Herr Whittaker, Sie kamen 2011 an unsere Schule. Im Interview mit der Klartext damals haben Sie gesagt, Sie seien auf „Freundlichkeit, Neugierde und Offenheit“ gestoßen, Sie wollten die Arbeitsgemeinschaften stärken und außerdem dafür sorgen, dass der Unterricht „gymnasial“ bleibt. Wie blicken Sie heute darauf? Hat alles geklappt?
Whittaker: Ja. Wir haben in der Schule Angebote geschaffen, die das gymnasiale Profil einerseits aufrecht erhielten, aber die Möglichkeiten der Schüler vergrößert haben, sich zu spezialisieren und Schwerpunkte zu setzen. Der bilinguale Zweig war schon da, dazu ist ja Frau Nickol ursprünglich an die Schule gekommen. Es kam dann zum Beispiel die Bläserklasse dazu, und die Auszeichnung als MINT-Schule. Jetzt als Informatik-Profilschule haben wir eine weitere Möglichkeit, „gymnasial“ zu sein und gleichzeitig etwas über den Tellerrand zu gucken, etwas mehr zu machen, als nur die gymnasialen Kernfächer zu unterrichten.
Ganz allgemein, wie haben Sie das „Käthe“ geprägt?
Whittaker: Wir hoffen, dass wir das, was wir übernommen haben, fortführen konnten.
Nickol: Und wir hoffen, dass wir unseren Teamgeist in die Schule getragen haben. Dass wir eine Atmosphäre schaffen konnten, wo viele Menschen gerne gearbeitet haben. Denn es ist wichtig, nicht nur Verwalter zu sein, sondern auch Ansprechpartner. Eine Leitung auf Augenhöhe mit den verschiedenen Gremien – mit dem Kollegium, aber auch der Schülervertretung und dem SEB. Das manches dabei natürlich nicht immer hundertprozentig reibungslos abläuft, ist klar…
Als wir zum Beispiel die neue Handyregelung eingeführt haben – da haben wir uns tatsächlich ein ganzes Jahr lang Zeit gelassen, weil wir versucht haben, alle mitzunehmen und immer jedem zu erklären: Wir wollen nicht verbieten, sondern wir wollen eine entspannte Arbeitsatmosphäre bieten.
Was war Gegenstand dieser Regelung?
Nickol: Damals war es Normalität, dass jeder auf dem Handy herumdaddelnd durch die Gänge gelaufen ist. Und teilweise saßen Leute heulend in der Ecke, weil sie genau zu diesem Zeitpunkt aus irgendeiner Whatsapp-Gruppe herausgeworfen wurden. Es war angespannt. Zur Regelung stehe ich heute noch: Die Oberstufe soll in ihren Aufenthaltsräumen das Handy benutzen dürfen, natürlich auch im Unterricht, wenn es gezielt eingesetzt wird. Aber nicht mehr in den Pausen – damit man sich dort mal auf das Zwischenmenschliche einlässt. Der damalige Schülersprecher hat vehement gegen dieses Verbot gekämpft – aber von ihm habe ich später einen langen, sehr wertschätzenden Brief bekommen. Da hat er sich bedankt, dass wir alles so durchdiskutieren konnten, und nicht wirklich durchgedrückt haben.
Haben Sie auch Fehler gemacht?
Nickol: Ist jemand fehlerlos?
Whittaker: Jetzt willst du einen hören, oder?
Ja.
Whittaker: Würdest du gerne einen vorschlagen?
Es geht ja darum, wie Sie sich sehen…
Nickol: Es gab sicher Entscheidungen, die sehr spontan getroffen werden mussten. Das birgt natürlich die Gefahr, Fehler zu machen. Ein Beispiel: Während meiner kommissarischen Leitung wurde ein Notfallplan für Amokläufe erstellt. Es mussten Ansprechpartner gefunden werden, Versammlungsplätze, und so weiter. In dieser Zeit ging eines Tages der Feueralarm los. Als alle Schülerinnen und Schüler dann dicht an dicht auf dem oberen Schulhof standen, dachte ich: Ist da jetzt ein Flintenlauf in einem der Klassenfenster zu sehen? Ist es jetzt so weit?
Und dann habe ich gesagt: So, fertig, wir brauchen jetzt sofort ein neues Konzept. Und das habe ich dann schon durchgedrückt. Ich habe keinen Schüler gefragt, ob er einverstanden ist, von nun an immer auf die Welsch-Terrasse hoch zu gehen. Wenn du das „Durchdrücken“ als fehlerhaft ansiehst, dann muss ich sagen: Ja, dazu stehe ich.
Whittaker: Und gerade die Corona-Krise hat uns ja als Schulleitung sehr gefordert. Wie Politiker mussten wir Entscheidungen treffen, von denen wir wussten, dass sie nicht von jedem akzeptiert würden. Nachdem wir den Hygieneplan gemacht haben, mussten wir feststellen, dass einige Regeln nicht befolgt wurden – zum Beispiel das Maske tragen im Aufenthaltsraum. Ich halte die Schülerschaft im Allgemeinen für vernünftig. Ich dachte also: Wenn sie das nicht befolgt, dann ist daran etwas faul. Vielleicht kann man das anders lösen. In der zweiten Fassung vom Hygieneplan haben wir das revidiert.
Ich glaube, so funktioniert das oft: Wenn man etwas durchgesetzt hat, und dann merkt, das hat keinen Konsens, dann muss man sich fragen, wieso das so ist – anstatt das durchzudrücken. Und das ist eine Art, mit der wir am Käthe ganz gut gefahren sind. Fehler zu besprechen und zu revidieren, wenn es gerechtfertigt ist.
Wie wurden Sie von der Schule geprägt?
Whittaker: So gerne wir immer noch im Klassenzimmer stehen, sind wir eben auch Teil des Leitungs-Teams. Und an die Rolle mussten wir uns gewöhnen, das wird einem nicht in die Wiege gelegt. Man lernt, dazu da zu sein, Entscheidungen zu treffen und für sie einzustehen.
Nickol: Kann ich unterstreichen. Man lernt, Verantwortung zu übernehmen, ohne jeden Tag angespannt in die Schule zu gehen.
War das anfangs so?
Nickol: Ich glaube ich spreche da auch für Frau Strantz-Dick: Als wir in unserem Dreiergespräch in der engen Schulleitung die Nachricht von Herrn Vögeding bekamen, er sei dann mal weg… Damals war ich frisch an der Schule und musste noch Namen lernen – dann hatte ich plötzlich die Verantwortung für alles. Ich wäre nicht ganz ehrlich, wenn ich sagen würde: Das mache ich doch locker aus der Hüfte raus. Nein, wenn man richtiges Verantwortungsgefühl hat, dann geht man da respektvoll die nächsten Schritte.
Was hat mich noch geprägt? Unser Team. Das nehme ich mit.
Whittaker: Ja, und dass es hier gar nicht nötig war, als Schulleitung praktisch Vorschriften vom Olymp herunterzuschleudern. Denn hier gibt es Unterstützung, die sagt: Das ist vernünftig, das machen wir so mit.
Nickol: Mir fällt noch etwas ein. Ich habe einen Hang zum Perfektionismus, deshalb habe ich früher immer alles selbst gemacht. Aufgaben in fremde Hände zu legen, das habe ich gelernt. Auch Delegieren muss gelernt werden.
Das Thema Corona haben wir schon angeschnitten. Wie viel Einfluss haben Sie denn als Schulleitung eigentlich auf das, was hier passiert?
Nickol: Es gibt die Anweisungen vom Ministerium, die wir umsetzen müssen. Und dann gibt es wenige Punkte, wo man eine gewisse Freiheit hat bei der Umsetzung. Das ist oft schwierig. Ein Beispiel: Man muss vermeiden, dass die Schüler sich begegnen. Wie soll man das in einem so großen Betrieb gewährleisten? Diese Freiheit bei der Umsetzung ist also nicht immer positiv. Wir tragen die Verantwortung.
Whittaker: Ich war froh, dass die Handlungsrichtlinien aus Mainz so kamen, wie sie kamen. Das entlastet sehr. So konnte nicht einfach jeder Schulleiter sein eigenes Ding machen. Ich bin froh, in der Corona-Zeit Schulleiter in Deutschland zu sein und nicht in England. Wenn man selbst in einer Entscheidungssituation ist, lernt man zu schätzen, was andere leisten. Ich denke, in Deutschland wurde viel richtig gemacht – es ist gut, dass wir im Gegensatz zu anderen Nationen eine Art Konsens im Infektionsschutz gefunden haben.
Gibt es diesen Konsens denn auch im Kollegium? Oder gibt es da auch Lehrer, die sich gegen die Maßnahmen sträuben – oder die Gefährlichkeit des Corona-Virus anzweifeln?
Nickol: Nicht, dass ich wüsste. Im Gegenteil: Ich habe gemerkt, dass ein Innehalten da war, dass etliche die Situation sehr ernst genommen haben und es auch aus persönlichen Gründen vorgezogen haben, von zuhause aus zu unterrichten. Und als Schulleitung müssen wir auch das ernstnehmen – wir haben nicht nur eine Fürsorgepflicht euch gegenüber, sondern auch dem Kollegium gegenüber.
Was wünschen Sie Ihren Nachfolgern?
Whittaker: Wir gehen an einem Punkt wo wir dem Nachfolger etwas übergeben, was man niemandem zum Start eines Schulleiterdaseins wünscht. Wir wünschen ihm, dass das Vertrauen des Kollegiums und der Konsens sich auf ihn überträgt. Wir haben die Zeit mitbekommen, wo durch Corona alles aufregend und neu war, aber diese Adrenalinphase ist vorbei. Jetzt kommt die Phase, in der man nicht weiß: Wie geht es weiter? Diese Hinwendung zu erhalten, das ist sicher auch schwierig.
Nickol: Ich wünsche ihm, dass er sich so wohlfühlt, wie wir uns wohlgefühlt haben. Wenn man an eine Schule kommt und etwas aufbauen kann, ist das ein anderer Start, als eine Schule zu übernehmen, die schon läuft und funktioniert. Wir haben das Bili-Profil aufgebaut, wir haben die Bläserklassen eingeführt, wir sind Informatik-Profilschule – jetzt muss man eben schauen, dass das auf massivem Boden stehen bleibt und ausgebaut wird. Und dazu jetzt noch so einen Corona-Start zu haben – das ist unschön. Insofern wünsche ich unseren Nachfolgern, dass sie sich schnell einleben und schnell in eine angenehme Normalität finden.
Wer wird’s denn?
Nickol: (lacht) Wenn wir das wüssten…
Whittaker: Es gibt ein Papier, das in Mainz vorliegt, wo schon der Name draufsteht. Das muss noch von Ministerpräsidentin Malu Dreyer unterschrieben werden. Und wenn das unterschrieben ist, dann gibt es noch drei Wochen Einspruchsfrist. Wir hoffen sehr, dass beide Stellen besetzt sind, wenn es wieder los geht.
Nickol: Übrigens – fünf Kandidaten haben sich als Nachfolger beworben. Das spricht ja auch dafür, dass wir als Schule einen guten Ruf haben – und das liegt vor allem an euch Schülern. Ihr seid oft viel mehr Aushängeschild der Schule als wir.
Was haben Sie mit der neugewonnenen Freizeit vor?
Nickol: (lacht) Das verrate ich nicht.
Whittaker: Ich möchte gerne noch lernen. Ich habe musikalisch nie etwas gemacht, dabei komme ich aus einer musikalischen Familie. Ich will also lernen, ein Instrument zu spielen, wahrscheinlich Klavier. Als Migrant werde ich außerdem weiter unstet bleiben. Und ich werde viel mit dem Rad unterwegs sein. Mit Muskelkraft, nicht mit dem E-Bike.
Frau Nickol, Sie verraten gar nichts?
Nickol: Normalerweise sagt jeder Pensionär immer: „Und dann werde ich mal anfangen zu reisen“. Nein, das ist überhaupt nicht meine Einstellung. Ich habe so viele Ideen, die teilweise schon angedacht sind. Das soll privat bleiben. Ich glaube, das interessiert auch nicht sehr viele.
Herr Whittaker, Frau Nickol, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft.
Tilmann Koch (12. Jgs)