Nach der Verfilmung des letzten Bandes der ,,Tribute von Panem“- Reihe von Suzanne Collins im Jahr 2015 dachten wohl die meisten, dass diese unglaublich berühmte Buch-/Filmreihe um den dystopischen, in der Zukunft spielenden, Staat Panem und die Hungerspiele zu Ende wären. Mit einem bittersüßen Epilog fand die Geschichte um Katniss Everdeen – ,,das Mädchen, das in Flammen stand“ – ihr Ende (Falls das jemand noch nicht geschaut/gelesen haben sollte, hier unsere Rezension zum ersten Film.). Umso erfreulicher, dass der 2020 erschienene neue Band ,,Das Lied von Vogel und Schlange“ – der Titel erschließt sich im Laufe des Buches – Ende nächsten Jahres sogar auch verfilmt werden soll!
,,Das Lied von Vogel und Schlange“, auch Panem X genannt, stellt ein Prequel dar und spielt mehrere Jahrzehnte vor der Hauptgeschichte; es gibt Katniss, Peeta,… noch nicht. Stattdessen erhalten wir eine Rückblende in die Vergangenheit und in die Kindheit des späteren Antagonisten Coriolanus Snow (vor allem bekannt unter dem Namen Präsident Snow) und somit eine völlig neue Perspektive. Statt dass man die Seite der Tribute und die der Distrikte sieht, wie bei Katniss Everdeen, erfährt man hier, wie sich das Konzept der Hungerspiele entwickeln konnte und wie es im Kapitol, also auch im Hause Snow aussieht.
Wie wurde Snow zum kaltblütigen Präsidenten?
Das ist die Hauptfrage, die einen beschäftigt, denn man geht natürlich mit einer gewissen Skepsis an den Roman. Da man bereits weiß, welche verhasste Rolle Snow in der Zukunft spielen wird, hat das Lesen einen gewissen bitteren, vorurteilenden Unterton, und trotzdem fällt es einem dann durch die emotionale Schreibweise gar nicht so schwer, mit dem kleinen verärmten Jungen Snow mitzufühlen.
Coriolanus Snow wächst in einer einst prestigereichen, aber nun nach dem Krieg verarmten Familie, als Waisenkind, nur mit seiner Cousine Tigris und seiner Großmutter, auf. Nach außen hin versucht er jedoch den stolzen Anschein der ehemaligen Elite-Familie zu wahren, während er um ein Stipendium kämpft, um seine Zukunft und die der Familie zu sichern. So erhält er auch eine Mentorenrolle für die 10. Hungerspiele. Doch seine Chancen stehen schlecht, denn ihm wird die herabwürdigende Aufgabe zugeteilt, den weiblichen Tribut aus dem letzten, dem 12. Distrikt zu betreuen: ein schönes Mädchen mit einer noch schöneren Stimme, das für den Kampf jedoch scheinbar nicht geeignet ist: Lucy Gray Baird.
Von da an finden zwei Kämpfe statt: zum einen der offensichtliche in der Arena der 10. Hungerspiele, wo Lucy Gray um ihr Überleben kämpfen muss, und zum anderen der des jungen Protagonisten Snow selbst, der immer mehr seine Loyalität zum Kapitol und den Autoritäten in Konflikt zu seinen aufkeimenden persönlichen Gefühl für den Tribut sieht. In seinem Kopf tobt ein Kampf um Herrschaft, Kontrolle, Macht, Moral, aber auch Liebe … Wie wird er sich entscheiden? Und so stellt sich neben der Spannung um den Ausgang der diesjährigen Hungerspiele auch die Frage, wie die Geschichte zwischen dem Kapitol-Jungen und dem Mädchen aus den Distrikten ausgehen wird…
Meta-Ebene
Über den natürlichen Unterhaltungsszweck hinaus bietet der Roman jedoch viel mehr: Mit Eingangszitaten von Locke, Hobbes,… wird bereits die Frage um den Naturzustand des Menschen aufgeworfen und daraufhin die Thematik, inwiefern der Mensch von Grund auf böse ist, im Buch weiter thematisiert. Diese Grundfragen dienen dem Verständnis zur Entwicklung des Konzepts der Hungerspiele, wobei auch Snow eine große Rolle spielt. Des Weiteren lernt man, wie sich eine Diktatur über Jahre hinweg etablieren kann.
,,Hierdurch ist offenbar, dass sich die Menschen, solange sie ohne eine öffentliche Macht sind, die sie alle in Schrecken hält, in jenem Zustand befinden, den man Krieg nennt, und zwar im Krieg eines jeden gegen jeden“ (- Thomas Hobbes, 1651)
Warum man das Buch lesen sollte
Persönlich mochte ich die Hauptreihe um Katniss Everdeen mehr, da ich mich mit ihr viel mehr identifizieren konnte und das Konzept mit den Hungerspielen noch ganz neu auf mich traf. In diesem neuen Band wusste man schon viel von der Zukunft, was eine gewisse Vorhersehbarkeit mit sich gebracht hat. Trotzdem war die Entwicklung Snows interessant und auf jeden Fall ein neuer Blickwinkel, durch den man viele Zusammenhänge und Hintergründe verstehen konnte. Durch die besonders gelungene Schreibweise konnte man die Weltsicht und die Denkensweise des späteren Diktators fast schon erschreckend gut nachvollziehen. Was mir auch besonders gefallen hat, war die Tatsache, dass es einzelne Namen, Orte und Lieder gab, welche mit der Hauptreihe in Verbindung stehen und eine gewisse Nostalgie erzeugen. Deswegen würde ich auch empfehlen, vorher die Hauptreihe zu lesen oder zumindest die Filme zu schauen. Das Ende war für meinen Geschmack nach den 600 Seiten etwas kurz, aber doch passend und im Großen und Ganzen zufriedenstellend.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass der Spin-off meine (ehrlich gesagt nicht so hohen) Erwartungen auf jeden Fall übertreffen konnte und spannungsgeladen, aufschlussreich und vor allem für Hungergames-Fans absolut zu empfehlen ist. Abgesehen vom Unterhaltungszweck ist der dystopische Roman aber auch auf der Meta-Ebene hochinteressant.
Neuer Blockbuster im Anmarsch?
Nachdem der Roman bereits so ansprechend war, freut man sich umso mehr auf den Film: Wie gut das ganze dann auch wirklich umgesetzt wird, fragt man sich aber – nach den vorherigen Erfolgen der Reihe sind die Erwartungen nämlich entsprechend riesig…
Für die Interessierten: die Hauptdarsteller und kleine Trailer wurden bereits unter den öffentlichen Social Media-Seiten der Produzenten veröffentlicht. (https://www.instagram.com/p/CecQ6cMjPxs/)
,,Fröhliche Hungerspiele und möge das Glück stets mit euch sein!“ (Effie Trinket)
Das Buch erschien im Oetinger-Verlag 2020 und kostet 26 euro (Hardcover)/15,99 (ebook)/14,99 (Hörbuch)