Neustadt an der Weinstraße gilt vielen als Perle der Pfalz: Ein mildes Klima, die Bedeutung des Weinbaus und das Hambacher Schloss als Wiege der Demokratie bescheren der Stadt Jahr für Jahr zahlreiche Touristen. Vielen Touristen, aber auch Einheimischen unbekannt ist jedoch Neustadts Rolle zur Zeit des Nationalsozialismus als Sitz der Gauleitung Saarpfalz.
Im Rahmen der Projektwoche gingen wir daher auf Spurensuche, unter anderem in der KZ Gedenkstätte Neustadt. Das Ergebnis unserer Recherche lest ihr hier:
Neustadt a.d. Haardt – ein Überblick
Der Gauleiter Joseph Bürckel: Weinstraßenromantik versus Judenverfolgung
Das frühe Konzentrationslager Neustadt an der Haardt
Neustadt a.d. Haardt – ein Überblick
Neustadt an der Haardt war seit 1927 Sitz der NSDAP-Gauleitung Saarpfalz. Während bei der letzten Wahl am 5.3.1933 in der Pfalz 46,5% der Stimmen an die NSDAP gingen, entschieden sich in Neustadt 52%, in Neustadt-Stadt 52,4% für die Nationalsozialisten – weit über dem Reichsdurchschnitt. So ist es nicht verwunderlich, dass Joseph Bürckel, der Gauleiter, hier seinen Amtssitz hatte.
Neben dem Sitz der Gauleitung gab es allerdings auch noch andere NS-Institutionen, die nach 1933 an Bedeutung gewannen.
Die Gauleitung hatte ihren Sitz in der Maximilianstraße 25, der heutigen Villa Böhm, diese wurde im Dezember auf den Druck der NSDAP von der Stadt gekauft. Andere Abteilungen der Gauleitung sowie weitere NS-Dienststellen wurden ebenfalls in der Maximilianstraße untergebracht. Die Konrad-Adenauer-Straße 10 beherbergte ab 1937 die Gestapo, welche von Anton Dunkern geleitet wurde. Zwischen 1937 und 1945 wurden hier politische Gegner aus ganz Rheinland-Pfalz verhört, unter ihnen auch Karl Minster aus Edenkoben, der am 12. 12. 41 nach Neustadt gebracht wurde und später in Charlottenburg starb. Die NSDAP-Kreisleitung hatte ihren Sitz in der Theodor-Körner-Straße 7/9, sie stand ab 1933 bis 1945 unter der Kontrolle von KL Hyronimus Merkle und zeitweise von KL Karl Ludwig Schlee. Am 9. November 1938 zerstörten mehrere Mitglieder der SS jüdische Geschäfte und brannten die Synagoge nieder. Die Befehle dafür wurden über die SS-Dienststelle in Neustadt (Haardter Treppenweg 3) weitergeleitet. Ein wichtiger Ort, um die Propaganda zu verbreiten, war für die Nationalsozialisten das Stadion an der Talstraße. Am 27. Juli 1932 war das 1925 erbaute Stadion Schauplatz einer politischen Versammlung bei der Adolf Hitler vor mehr als 50 000 Menschen redete. Später wurde dort ein Stein-Adler errichtet.
Der Gauleiter Joseph Bürckel: Weinstraßenromantik versus Judenverfolgung
Josef Bürckel ( 30.03.1895, Lingenfeld- 28.09.1944, Neustadt) trat der NSDAP 1921 bei.
1926 war er als Gauleiter des Gaus Rheinpfalz tätig.Im Rahmen der Saarabstimmung 1935, die ergab, dass das Saarland zum Deutschen Reich gehörte und somit wieder eingegliedert werden sollte, wurde mit dieser Aufgabe Bürckel zum Reichskommissar für das Saarland erklärt. Schließlich fasste man den Gau Rheinpfalz und das Saarland zum Gau Saarpfalz zusammen.
Bürckel prägte die pfälzische Kultur auf besondere Weise: Die Deutsche Weinstraße, so wie wir sie heute kennen, wurde von ihm etabliert. Bürckel erkannte 1936, dass die ca. 80 km lange Weinstraße als touristische Attraktion genutzt werden und den Weinabsatz ankurbeln kann. Das Deutsche Weintor in Schweigen-Rechtenbach markiert den Anfang der Deutschen Weinstraße und wurde 1936 in acht Wochen erbaut. An allen Stadtgrenzen stehen die sogenannten vier Meter hohen ,,monumentalen Grenzwächter‘‘ mit Weinbau-Motiven, errichtet von dem Bildhauer Bernd. So steht auch am Kreisel der Mußbacher Landstraße ein solcher ,,Weinstraßen-Stein‘‘.
Bürckel gab sich dem Volk als einfacher Familienvater, als besonders ,,volksnah‘‘. Dies machte ihn nicht nur zu einem respektierten Politiker, sondern auch zu einer beliebten Person des öffentlichen Lebens. So wurden nach ihm damalige Straßen der Pfalz benannt. Bürckels Büro befand sich in der Villa Böhm Neustadt (Maximilianstraße), die nach Druck seitens der NSDAP von der Stadt gekauft worden war.
Allerdings ist er neben der Einrichtung des frühen Konzentrationslagers in Neustadt und der Angliederung von Saargebiet und Österreich vor allem für die Entrechtung und Deportation der Juden verantwortlich: Am 22./23. Oktober 1940 veranlasste er die Deportation von mehr als 6500 Juden aus dem Gebiet Baden und Saarpfalz in Konzentrationslager des besetzten Frankreichs, darunter nach Gurs. Die Überlebenden von Gurs wurden ab 1942 in Vernichtungslagern ermordet.
Am 28. September 1944 starb Joseph Bürckel. Unklar ist die Todesursache.
Noch heute ist die Person Joseph Bürckel ein Politikum, was sich unter anderem darin zeigt, dass vor zwei Jahren ein Streit darüber entbrannte, wie man mit seinem Grabmal umgehen soll.
Das frühe Konzentrationslager Neustadt an der Haardt
Das frühe Konzentrationslager, das von März bis Mai/Juni 1933 in Betrieb war, gehörte zu einem der ersten im Dritten Reich. Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 und dem folgenden Ermächtigungsgesetz am 24. März begannen auch hier die ersten Verhaftungswellen. Diese Verhaftungswellen trafen unter anderem das Rathaus, wo Oberbürgermeister Dr. Forthuber seines Amtes enthoben und durch den Rechtsanwalt Dr. Hamann ersetzt wurde. In den drei Monaten, in denen das KZ genutzt wurde, gab es ca. 500 Inhaftierte, die meist aufgrund einer anderen politischen Einstellung inhaftiert wurden, darunter viele SPD- und KPD-Mitglieder.
Weibliche Gefangene gab es nur eine, da man davon ausging, dass Frauen lediglich ihre Männer unterstützten und keine eigene politische Meinung hatten. Zur Leitung des KZs gehörten unter anderem der Bevollmächtigte des Gefangenenlagers Anton Durein. Gauleiter, und damit ebenfalls dafür verantwortlich, war zu diesem Zeitpunkt Josef Bürckel.
In Neustadt und der Umgebung war es allgemein bekannt, dass und wo es das Konzentrationslager gab, allerdings wusste man nicht über die Zustände Bescheid, denn da die Gefangenen eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben mussten.
Die Häftlinge und ,,freiwilligen Arbeiter“ kamen aus 60 Gemeinden der Pfalz und wurden nach ihrem Aufenthalt in Neustadt entweder nach Dachau deportiert oder wieder entlassen, nicht selten aber kurze Zeit später wieder inhaftiert und in andere Konzentrationslager gebracht.
In den drei Monaten, in denen das Konzentrationslager in Betrieb war, gab es keine Todesfälle, dafür aber wurden die Häftlinge misshandelt, schikaniert und gedemütigt, indem sie zum Beispiel in der Öffentlichkeit unter Beaufsichtigung eines SA-Mitarbeiters Karren ziehen oder putzen mussten.
Trotz der Tatsache, dass es keine Toten gab, fanden zwei Selbstmordversuche statt, die die Nazis zu ihrem Nutzen verdrehten, zum Beispiel um dem Häftling eine Straftat anzuhängen.
In der Öffentlichkeit wurde das KZ so dargestellt, dass die Bevölkerung den Eindruck gewann, dass es den Häftlingen besonders gut ging, zum Beispiel hieß es in der Zeitung, dass die Häftlinge ausreichend Essen und ,,gemütliche“ Strohsäcke zum Schlafen hätten, dabei an strenge, aber faire Regeln gebunden seien und erfüllende Arbeiten verrichteten.
Was nicht erzählt wurde war, dass in den ,,Einzelzellen“ des KZ vier bis fünf Inhaftierte untergebracht waren, und in den größeren bis zu 20, was dem erheblichen Platzmangel geschuldet war. In einem Brief eines ehemaligen Neustadter Häftlings, der ins Dachauer Konzentrationslager deportiert wurde, hieß es, dass es ihm ,,in Dachau besser gehe“ als in Neustadt. Im Mai/Juni 1933 wurde das KZ nach ,,nur“ drei Monaten der Nutzung wieder geschlossen. Seit 2013 befindet sich in einem Nebengebäude ( Gebäude für den verschärften Arrest) die KZ-Gedenkstätte.
Familie Mayer
Zahlreich sind die Schicksale Neustadter Juden, weshalb wir uns beispielhaft zwei Familien widmeten, unter anderem mit Blick auf unsere Schule:
So besuchten alle Töchter der jüdischen Metzgerfamilie Mayer den KKG-Vorläufer, die „Höhere Töchterschule“.
Franziska, Eugenie, Bertha, Theodor, Max, Fritz und Isaak – das sind die Nachkommen des Metzgermeisters August Mayer und seiner Frau Karoline. Alle Söhne Augusts wachsen in der Hauptstraße 56 auf und dienen im 1. Weltkrieg . Max, der 1884 geboren wurde verliert im Großen Krieg sogar ein Bein, kehrt hochdekoriert heim.
Er führt mit seiner Frau Hermine eine Metzgerei in der Kellerstraße 9, bis die Familie durch die Zwangsmaßnahmen der Nazis gezwungen sind, ihre „arische“ Hausgehilfin und ihren „arischen“ Metzgergesellen zu entlassen – es ist den Nazis unrecht, dass Arier mit Juden unter einem Dach leben und arbeiten, am Ende noch für sie arbeiten. Auguste (eine Schülerin der Höheren Töchterschule) und Erich, die beiden älteren Kinder der Familie, emigrieren 1935 in die Vereinigten Staaten. Wenig später, 1938, wird der Betrieb der Familie „arisiert“. Nach dem Zwangsverkauf des Hauses an einen „arischen“ Metzger ziehen die verbleibenden Familienmitglieder in eine Dachwohnung ihres alten Hauses ein.
Das Ausreisevisum in die Vereinigten Staaten ist beantragt – mittlerweile mussten Max, Hermine und Heinz nach Mannheim umziehen – doch es kommt zu spät: Am 22. Oktober 1940 wird die dreiköpfige Familie ins KZ Gurs deportiert – von dort aus gelingt es den Eltern zwar, über eine Untergrundorganisation die Flucht und Ausreise ihres zehnjährigen Sohnes Heinz in die Schweiz zu organisieren, wo er von einer Familie aufgenommen wird, sie selbst werden aber 1942 in Auschwitz ermordet.
Erich Mayer kehrt im Frühjahr 1945 als US-Soldat zurück nach Neustadt und besucht Freunde der Familie. Diese ehemaligen Nachbarn der Mayers erzählen, er habe auf das Angebot hin, sein Elternhaus zu besuchen geantwortet, „er habe in Neustadt kein Elternhaus mehr, er wisse nicht, was aus seinen Eltern geworden sei“.
Ein anderer Teil der Familie Mayer hat mehr Glück. Theodor Mayer, seine Frau Selma und seine Tochter Elsa führen eine Metzgerei in der Hauptstraße 68. Kurz nach der Machtübernahme durch die Nazis wandert er 1934 nach Palästina aus. Dazu hat er allen Grund: Der bekennende Sozialdemokrat gehörte bereits 1933 mit seinem Schwager Max Siegelwachs zu den ersten Häftlingen im Neustadter Konzentrationslager.
Andere Teile der Familie emigrieren in alle Ecken der Erde: Isaak und Fritz zieht es mit Familie nach Buenos Aires, Bertha und Franziska wandern in die USA aus. Die überlebenden Nachkommen der Familie Mayer leben noch immer verstreut um den Globus.
Familie Morgenthau
Die jüdischen Geschwister Adelheid (Adele) und Daniel Morgenthau wohnten im Haus Marktplatz 8 in Neustadt. Die jüngere Schwester wurde am 11.08.1885 in Mußbach und der ältere Bruder am 03.06.1881 in Ludwigshafen geboren. Während Adele eine Ausbildung als Kontoristin absolviert hatte und ein eigenes Handarbeitsgeschäft führte, arbeitete Daniel als Kaufmann bei der Firma „Schwarz & Dützmann“. Beide waren in ihren Berufen angesehene Personen. Doch in der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurde Daniel festgenommen und in das Konzentrationslager nach Dachau transportiert, wo er bis Mitte Dezember inhaftiert blieb. Derweil fuhr Adele aus Unruhe deswegen nach Frankfurt zu ihren Verwandten, verblieb dort aber nur wenige Wochen, ehe sie wieder nach Neustadt zurückkehrte.
Eines Tages erfuhren die beiden von ihren Nachbarn, dass die SS („Schutz-Staffel“) sie in zwei Stunden abholen käme, was auch so geschah. Sie wurden in einer Matzenbäckerei mit anderen Juden untergebracht, welche durch die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ vom 12.11.1938 geschlossen und nur noch als „Judenhaus“ genutzt wurde. Dort verbrachten sie fast zwei Jahre, bis die Geschwister am 22.10.1940 ihre endgültige Vertreibung erlebten: das Ziel lautete Gurs, Südfrankreich. Wie schlimm dort die Verhältnisse waren, berichtete uns im Jahr 2013 der Überlebende Paul Niedermann im Rahmen einer Schulveranstaltung.
Adele wurde 1942 nach Auschwitz und Daniel 1943 nach Majdanek-Lublin deportiert. In Neustadt am Marktplatz 8, wo sie früher gewohnt haben, findet man heute ihre Stolpersteine. Zum Gedenken an die 58 Opfer ließ die Stadt Neustadt 1995 eine Gedenktafel anfertigen:
Dieser Artikel gibt nur einen kleinen Einblick in Neustadts dunkelste Epoche. Ein Dank geht an Herrn Dittus, der uns im Rahmen der Projektwoche bei dem Besuch der KZ-Gedenkstätte mit Rat und Tat zur Seite stand.
Tilmann K., Gerrit F., Anais B., Hanna B., Justine N., Alisa S., Nicole S.