Die Kirche, und mit ihr die Gesamtheit der Bundesbürger, die ihr eher apathisch bis desinteressiert gegenübersteht, feiern bald das Osterfest. Allerdings wird wieder das Feiern im Mittelpunkt stehen. Dabei wird es Zeit, die Kirche und das Christentum zu repolitisieren.
Ostern. Das ist die Auferstehung Christi. Dieser, ein armer Jude, Revolutionär, Zimmermann, Wanderprediger wurde zwischen zwei Räubern gekreuzigt, nachdem er Frieden, Widerstand und Befreiung predigte. Bevor er am Kreuz starb wurde er bespuckt, geschlagen, erniedrigt, gefoltert.
Am dritten Tage nach dieser Folterung und Ermordung kamen – so das Neue Testament – einige Frauen, Jünger Christi, ans Grab und wurden sodann von einem Engel darüber in Kenntnis gesetzt, dass der Totgeglaubte auferstanden sei.
Allein diese Geschichte strotzt vor Politik, vor revolutionärem Potential. Ein einfacher Arbeiter kämpft friedlich gegen die römische Besatzung. Der Sohn Gottes. Und dann: mit gemeinen Verbrechern, mit niederen Räubern hingerichtet. Davor Folter. Was würde Jesus wohl zu den Folterungen in Guantanamo Bay sagen – einem Gefangenenlager des „Christlichen Abendlands“?
Und um diesem Geschehen die Krone aufzusetzen, wird seine Auferstehung zuerst eben nicht Petrus verkündigt, oder irgendeinem anderen der so berühmten männlichen zwölf Apostel, sondern Maria Magdalena, der furchtbaren Sünderin.
Das Neue Testament ist, und das wird vom modernen Christentum und seinen Anhängern oft verkannt, ein hochpolitisches Werk. Ein Aufruf zur Solidarität und zur Revolution.
Der brasilianische Bischof Antonio Fragoso, auf dessen Schriften ich stieß, erklärte in seinen Reden an Landarbeiter:
„Christus will die Befreiung des Menschen. Christus ist nicht nur gekommen, den Menschen von seinen Sünden zu erlösen. Christus ist gekommen, ihn auch von den Folgen der Sünde zu befreien.Diese Folgen finden wir in unserem Haus, in unseren Straßen, in unserer Stadt, in unserem Land. Sie heißen Prostitution, Rassendiskriminierung, Randsiedlerdasein der Bauern, Fehlen von Straßen und Wohnungen, unzureichende Hygiene, äußerst schlechtes Gesundheitswesen, ungerechte Besitzverteilung. Bankkredite nur für eine kleine Minderheit, undemokratischer Zustand des Kapital- und Kreditwesens, Bildung nicht für alle, obwohl doch alle Menschen Verstand haben.“
Viele moderne Kirchenführer weigern sich, so kraftvoll und extrem zu sprechen. Sie verstecken sich lieber hinter Abendmahl und Abkündigungen: Die „Liturgisierung“ des Evangeliums schreitet voran.
Und wenn sie es wagen, den konservativen Kirchgänger mit der Feststellung „Diese Wirtschaft tötet“ oder der Forderung nach einer „Kirche der Armen“ zu erzürnen, dann wird diese revolutionäre Aussage schnell wieder relativiert, indem man sich über einen „Weltkrieg gegen die Ehe“ beklagt.
Man könnte anführen, beides seien politische Aussagen. Doch ist das Ziel Jesu nicht die Befreiung des Menschen? Die Befreiung von Unterdrückung?
Und welche Forderung klingt dann eher nach Befreiung von Unterdrückung – die Forderung nach einer demokratischeren Wirtschaftsordnung, die mehr Rücksicht auf Arme nimmt, oder die Forderung nach der Ächtung Transsexueller?
Fragoso erklärte außerdem, alle Christen seien im tiefsten Sinne ihrer Aufgabe als Christen dazu aufgerufen, am Kampf zur umfassenden Befreiung des Menschen teilzunehmen.
Dieses Osterfest wäre ein guter Anlass, um statt eines langwierigen Gottesdienstes oder einer unpolitischen Eiersuche, diesen Aufruf in die Tat umzusetzen. Einen Mangel an Unfreiheit oder an Möglichkeiten, diese zu eliminieren, haben wir sicher nicht.
Tilmann Koch (10.Jgs)
Antononio Fragosos Texte wurden beispielsweise in der Sammlung „Evangelium und soziale Revolution“, erschienen 1971 im Burckhardtshaus-Verlag, herausgegeben.
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