Lara (Name frei erfunden) sitzt in ihrem Zimmer. Sie schaltet wie jeden Abend den Fernseher ein und bei der Suche nach einem Sender stößt sie prompt auf eine Modelcastingshow. Teils belustigend, teils mitfiebernd verfolgt sie das Geschehen – und erwischt sich doch mal bei dem Gedanken, dass sie auch auf ihre Figur achten muss. In unserer Gesellschaft und in den Medien, denkt sie, ist ein Schönheitsideal festgelegt: Nur wer schlank ist, kommt weiter und hat Erfolg; warum also nicht einmal eine Diät ausprobieren, die überflüssigen Pfunde, die man sich an Weihnachten angefuttert hat, weghungern? Praktisch, dass es gleich so viele Tipps in diversen Zeitschriften gibt; das war vor zwei Jahren. Leider blieb es nicht bei einer Diät, sagen heute ihre Freunde. Manche, so wissen sie inzwischen, gleiten ab in einen Teufelskreis: die Magersucht. Doch was unterscheidet Erkrankte von denen, die „nur“ eine Diät machen? Was ist Magersucht überhaupt und was kann man dagegen tun? In diesem Artikel erfährst du alles zum Thema.
„Du bist nie zu dünn“
„Lebe nicht um zu essen, iss um zu leben“
„Nichts fühlt sich so gut an, wie das Gefühl dünn zu sein“
„Es wird nicht besser schmecken, wenn du mehr davon isst“
Solche oder ähnliche Aussagen finden sich auf einschlägigen Websites zur Thematik, auf denen sich Betroffene als Vorbilder eines fragwürdigen Schönheitsideals ansehen. Doch zunächst zu den Fakten des Krankheitsbildes:
Was bedeutet der Begriff; welche Symptome gibt es?
Die Magersucht ist ein sehr ernstzunehmendes Thema, das aber meist in den Hintergrund gedrängt wird. „Anorexia nervosa“, so der lateinische Fachbegriff, bedeutet „nervlich bedingte Appetitlosigkeit“, was eigentlich eine Fehlbezeichnung der Krankheit ist, da die Nahrungsaufnahme zwar erheblich eingeschränkt wird, aber die Ursache nicht im mangelnden Appetit liegt. Meist wird der Appetit nur unterdrückt, Erkrankte verweigern die Nahrungsaufnahme fast komplett. Betroffen sind vor allem Jugendliche zwischen dem 15.-25 Lebensjahr, insbesondere Mädchen, denn nur 5% der Erkrankten sind Jungen. Lara, mit ihren 14 Jahren, passte also leider noch zu der „Schwerpunktgruppe“.
Folge der Krankheit: eine extreme Gewichtsabnahme, die zunächst noch von Gewichtsregulationsverhalten begleitet wird, also dem Versuch, das erreichte Gewicht zu halten. Meist hungern Magersüchtige aber nach Erreichen ihres Wunschgewichts weiter, da sie immer wieder ein neues „Idealgewicht“ anpeilen. Das unterscheidet sie von den Leuten, die eine Schlankheitskur machen, da diese, wenn sie ihr Zielgewicht erreicht haben, ihre Fastenkur aufgrund einer gesunden Körperwahrnehmung beenden und ihr normales Essverhalten wiederaufnehmen. Genau diesen Schritt schaffte Lara nicht. Wirklich zufrieden oder glücklich war sie mit ihrem erreichten Wunschgewicht nie gewesen. Und ging nicht auch noch ein bisschen mehr Diät?…
Die körperlichen Folgen sind irgendwann unübersehbar (nicht alle Symptome müssen zutreffen.): dürre Arme/Beine, ein Body-Mass-Index unter 17,5, Durchblutungsstörungen in den Extremitäten, Haarausfall, brüchige Nägel; ausgemergeltes Gesicht, hervorstehende Adern. Häufiges Frieren, Konzentrationsschwierigkeiten und Kreislaufprobleme sind auch Hinweise auf die Magersucht. Diese Probleme werden aber von den Magersüchtigen heruntergespielt, die auch oft gereizt reagieren, wenn man sie darauf hinweist. Insgesamt führt die Magersucht in ca. 5-20% der Fälle zum Tod (Organversagen).
Ursachen und Risikofaktoren
Viele Faktoren spielen bei der Entwicklung der Krankheit eine große Rolle. Es gibt Vermutungen, dass bei Magersüchtigen eine Störung der Hirnregion vorliegt, die u.a. das Essverhalten steuert. Aber auch genetische Faktoren spielen eine Rolle: Die Wahrscheinlichkeit eine Magersucht zu vererben liegt bei 60%! Da die Magersucht häufig in der Pubertät auftritt, wird außerdem angenommen, dass diese Phase des Erwachsenwerdens (Ausprägung der eigenen Identität) zu Überforderung, zu Unsicherheiten führen kann ; da schafft die Kontrolle des eigenen Gewichts Sicherheit und Selbstvertrauen. Doch auch eine schlimme Vergangenheit und sexueller Missbrauch können eine Magersucht hervorrufen sowie auch eine zwanghafte Persönlichkeitsstruktur. Zu guter Letzt hat auch das soziale Umfeld einen nicht zu unterschätzenden Einfluss, in der Familie beispielsweise können fehlender Austausch von Zärtlichkeiten, nicht geklärte Konflikte sowie hohe Leistungsanforderungen der Auslöser sein. Die mediale Vermarktung von „schlanken“ Models wirkt dahingehend als eine Art Brandbeschleuniger. Gleiches gilt für fragwürdige Internetseiten, auf denen Magersucht als Schönheitsideal angepriesen wird.
Und bei Lara? Lara kam aus einem behüteten Elternhaus. Ihre Eltern können sich bis heute nicht erklären, woran es lag, dass es so weit kommen musste. Klar, in der sechsten Klasse, vor der Pubertät, sei sie aufgrund ihrer Figur oft gehänselt worden. Aber das habe sich nach einem Wachstumsschub schnell erledigt. Ihr Freundeskreis sei groß gewesen, ihre Noten immer mit die besten, Ihr Alltag klar strukturiert. Wieso sie? Viele Fragen – keine eindeutigen Antworten.. In der Tat tendieren Eltern betroffener Kinder auch häufig dazu, die Probleme abzustreiten; typische Ausrede: „Unsere Tochter ist halt sehr groß und sportlich…“
Wie erkenne ich Betroffene und wie soll ich mich verhalten?
Doch wie erkennt man genau, ob die Freundin magersüchtig ist und wie kann man helfen? Ein erstes Anzeichen der Magersucht ist eine ständige Beschäftigung mit dem Thema „Diät“. Magersüchtige kennen kaum ein anderes Gesprächs- thema als Essen und Diäten und kontrollieren oft Gewicht, von der extremen Angst getrieben, dick zu werden, obwohl sie schon untergewichtig sind. Weitere Anzeichen sind ein verändertes Essverhalten und extremer Gewichtsverlust. Manche erbrechen auch das Gegessene danach („Ich habe das Essen nicht vertragen“), treiben auch exzessiv Sport. Der radikale Gewichtsverlust wird oft durch das Tragen dickerer Kleidung oder mehrerer Kleiderschichten kaschiert. Weitere Warnsignale können der Rückzug von Freunden und die Vernachlässigung der Hobbys sein.
Wenn du also denkst, dass deine Freundin magersüchtig ist, sprich sie konkret darauf an und lass dich nicht davon abschrecken, wenn sie gereizt reagiert. Biete ihr an, sie zu einem Arzt zu begleiten; bitte sie darum, sich einem Erwachsenen, z.B. dem Vertrauenslehrer, den Präventionsbeauftragten (s.u.) oder der Klassenleitung anzuvertrauen, mit dem/der sie darüber reden kann.
Zurück zu Lara; anfangs, so ihre Freundinnen, hat man Probleme nur vermutet; sie habe oft beim Mittagessen geäußert, dass sie schon gegessen habe oder ihr das fette Essen nicht schmecke; ihre „schlanke“ Figur habe sie damit begründet, dass sie eben sportlich sei und einen guten Stoffwechsel habe. Irgendwann sei ihnen aufgefallen, dass sie nicht wirklich gesund aussieht – aber immerhin auch nicht so pummelig wie damals in der sechsten. Angesprochen hat man sie aber nicht. Nebenbei: Es sei doch auch ganz praktisch gewesen, dass sie nicht mehr die Beste in der Klasse war..
Behandlungsmöglichkeiten
Wie jede andere Krankheit auch kann Magersucht behandelt werden. So gibt es passende Psychotherapeuten, an die man sich wenden kann, aber auch spezielle Kliniken, in denen die Patienten aufgenommen werden, bis sie ihr Normalgewicht durch eine Therapie erreicht haben. In jeder Therapie spielt die Beobachtung des Gewichts eine Rolle. Patienten mit Magersucht kennen kein normales Essverhalten mehr und müssen dies erst neu erlernen. Dabei hilft ein so genanntes Ernährungs-management, welches Essprotokolle,vereinbarte Essensmengen und festgelegte Zeiten für die Nahrungs-aufnahme bestimmt. Es werden Verträge mit den Patienten abgeschlossen, in denen Gewichtszunahmen vereinbart und festgelegt werden. Natürlich gibt es auch hier Sitzungen mit Therapeuten, die versuchen, Ursachen für die Erkrankung zu finden. Auch wenn eine Therapie langwierig ist, so ist sie die einzige Chance, aus dem Teufelskreis herauszukommen.
Bei Lara kam es nicht mehr zur Therapie. Sie verlor den Kampf gegen die Krankheit…
Doch Lara ist Teil einer erfundenen Geschichte – im Gegensatz zu vielen Mädchen, die ganz real diese Probleme haben!
Also: Augen auf und helfen! Konkret kannst du dich an unserer Schule an Frau Fiecke und Frau Becker wenden, an die Präventionsbeauftragten unserer Schule.
Eine weitere Möglichkeit ist die „Fachstelle Sucht Neustadt a.d. Weinstraße“ in der Schillerstr. 11. Dort können Betroffene Beratungsgespräche, die der Schweigepflicht unterliegen, wahrnehmen.
Generelle Informationen erhältst du außerdem unter:
http://www.magersucht-online.de/index.php
http://www.maedchen.de/artikel/magersucht-816330.html
Nun aber zu dir! Wie denkst du über das Thema? Wir freuen uns über Kommentare, aber auch über die Teilnahme an der Umfrage!
S. Palloks