Am Donnerstag, den 16. November 2017, besuchte Carolin Seidel unsere Schule, um ihr Projekt „Hand des Menschen“ vorzustellen und dafür zu werben. Seit 2014, das was das erste Mal, dass die ehemalige Käthe-Schülerin unsere Schule besuchte (Wir berichteten.), ist einiges passiert und so wollten wir wissen, wie der aktuelle Stand des Hilfsprojekts ist.
Klartext: Warum hast du dich damals dafür entscheiden, zusammen mit deinen Freunden „Hand des Menschen“ zu gründen?
Carolin Seidel: Ich war nach meinem Abitur im Ausland gewesen, in Indien für fünf Monate, und habe konkret erlebt, was bei der Entwicklungszusammenarbeit alles schief geht, unter anderem eben, dass das Geld durch zu viele Hände geht, bis es dort ankommt, wo es hin muss. So habe ich mich dann während meines Studiums mit Freunden getroffen und wir haben uns gedacht: Wo kann man was machen? Wo kann man sich engagieren? Wo kann man sich einbringen? Irgendwann kamen wir darauf: Naja – wenn du wirklich hundertprozentig sicher sein möchtest, dass das Geld wirklich ankommt und du auch siehst, dass etwas passiert – dann musst du etwas Eigenes machen! Jeder hat uns für verrückt erklärt und wir haben es trotzdem gemacht und deshalb kann ich nur sagen: einfach machen!
Klartext: Was können wir denn in Deutschland überhaupt tun, außer zu spenden?
Carolin Seidel: Ich glaube, viel wichtiger als Spenden ist erst einmal ein Bewusstsein für die Problematik zu erkennen. Ein Beispiel: Wo und was kaufe ich ein? Ich hatte bei meiner Veranstaltung das Thema „Schokolade“ angesprochen: Weihnachtszeit ist Schokoladenzeit, aber ein großes Problem ist, dass über 90 Prozent der Schokolade durch Kinderarbeit produziert wird. Das heißt: Am wichtigsten ist es, dass man seinen täglichen Konsum überdenkt. Ein zweites Beispiel: Welche Kleidung kaufe ich? Ich arbeite in Indien mit Kindern, die aus der Kindersklaverei kommen, das heißt, sie sitzen in irgendwelchen Löchern und stellen Kleidung her, die wir dann in Deutschland für nahezu nichts kaufen, wahrscheinlich einmal anziehen – wenn überhaupt – und dann wegschmeißen. Mein Fazit: Viel wichtiger als Spenden ist es wirklich, sich zu überlegen, wie man sich beim eigenen Konsum verhält.
Klartext: Leider ist es ja meistens so, dass man bei freiwilligem Engagemen auch einmal persönliche Tiefpunkte erleben kann. Welche Tiefpunkte gab es bei euch zum Beispiel?
Carolin Seidel: Wenn man etwas macht, kann man scheitern – das ist natürlich so. Wir hatten natürlich unglaublich viele Herausforderungen: wir machen das Ganze ehrenamtlich, das heißt, wir haben nebenher ein normales Berufsleben; in meinem Fall waren das zwei Studiengänge, drei Nebenjobs und eben diese Organisation. Natürlich hat man auch einen Freundeskreis, mit dem man mal etwas machen möchte. Das war manchmal anstrengend, aber im Großen und Ganzen wissen wir, warum wir das machen, und so haben wir uns dann auch durch schwierige Zeiten gekämpft – auch mit den Projekten: Eines unserer Kinder starb vor einem Jahr, das ist mir sehr, sehr nahe gegangen, weil ich sie sehr, sehr geliebt habe. Wenn man außerdem sieht, dass sich ein Kind, obwohl man viel investiert, dazu entscheidet, aus dem Programm auszusteigen, dann berührt das einen ebenfalls sehr. Damit muss man lernen umzugehen.
Klartext: Gab es in eurer Zusammenarbeit mit lokalen Stellen Schwierigkeiten oder war man da kooperativ?
Carolin Seidel: Jein. In Indien hatten wir bisher keine Probleme, das läuft da immer sehr gut. Die haben eine andere Kultur, das ist alles viel offener, die heißen uns viel mehr willkommen. In Kenia war ich – gerade in den sieben Monaten, die ich unten war – mit unglaublich vielen Herausforderungen konfrontiert. Hier ist Korruptionein großes Problem: Als wir zum Beispiel dort eine Einrichtung gebaut hatten, kam jemand und meinte, ich sei dafür haftbar zu machen, dass wir keine Bautafel angebracht hätten. EInen Verweis auf den Architekten, den wir engagiert hatten, wollte er nicht gelten lassen. Er kam dann tatsächlich alle zwei, drei Tage wieder und ließ nicht locker. Unser Architekt meinte, ich solle irgendeinen Betrag zahlen, sonst müsse ich ins Gefängnis. Ich könne aber natürlich auch mit ihm essen gehen. Sowas passiert eben häufiger, dass jemand einfach Geld von dir will.
Und dann gibts manchmal auch einfach eine Art Unverständnis: Du bist eben immer der Fremde. Was ich dann mache ist, dass ich mich auf Augenhöhe begebe, im wahrsten Sinne des Wortes – ich setze mich dann zum Beispiel einfach zu den Kindern auf den Boden. Da denken viele erstmal so „Hä? Wieso sitzt die denn auf dem Boden?“ aber so erreicht man die Kinder, das baut die Angst ab, dann öffnet man sich.
Bei Ämtern ist es aber gerade andersherum; die bauschen sich immer regelrecht auf, weil sie glauben, sie müssten über dir stehen – da muss man sich dann eben noch mehr unterordnen und superfreundlich sein, auf der anderen Seite aber auch die Grenzen aufzeigen und sagen: Nein, wir zahlen kein Schmiergeld, wir warten eben so lange, wie der Prozess dauert. Thema Schulbau: Wir bauen nächstes Jahr eine Schule mit Internat und Physiotherapiezentrum in Indien. Auf die Genehmigung haben wir dreieinhalb Jahre gewartet – die haben uns so oft angeboten, wir sollten doch 10.000 Euro zahlen, wir könnten doch zumindest 8.000 Euro zahlen, dafür würde der Prozess beschleunigt werden. Wir haben aber immer gesagt: Nein, keine Korruption. Und das ist auch, wofür wir stehen!
Klartext: Was genau passiert dann eigentlich mit dem gespendeten Geld?
Carolin Seidel: Normalerweise sagt man dann, dass zehn, fünfzehn Prozent der Spenden in die Verwaltung gehen. Wir sind aber sehr klein, deshalb wollen wir, dass 100% der Spenden direkt in unsere Projekte gehen – die Verwaltungskosten tragen wir selbst, eben mit Kuchenverkäufen etc. Alles, was in den letzten Jahren an Spenden eingenommen wurde, ist direkt in unsere Projekte geflossen: Der Waisenhausbau hat uns knapp 70.000 Euro gekostet, da gibt es dann noch Kosten für das Land und die vier Heimangestellten. Darüber hinaus haben wir in Indien eine Schule aufgebaut. Dort haben Kinder in der Lederfabrik gearbeitet – im Norden Indiens sind die Leute eben so arm, dass die Kinder mitarbeiten müssen.
Und dann hat man zwei Möglichkeiten: Entweder du sagst mit erhobenem Zeigefinger, aus der „weißen Sicht“: „Wie kannst du nur so eine Rabenmutter sein und deine Kinder in so ein Chemieloch stecken?“. Aber was haben sie denn für eine Wahl? Wenn du fünf Kinder hast und dein eigenes Gehalt kaum ausreicht und du kein Geld für Schule hast – klar arbeiten dann die Kinder. Was haben wir also gemacht? Wir haben stückweise versucht, die Leute zu sensibilisieren, wir haben Unterricht angeboten; Grundbildung, die jetzt sechs Tage der Woche abends stattfindet. Und nach drei Jahren waren von unseren 150 Kindern, die in dem Projekt angefangen haben, immerhin noch 120 Kinder in der Schule. Durch Aufklärungsarbeit auf Augenhöhe – ohne Zeigefinger – haben wir es geschafft, sie dazu zu sensibilisieren, dass sie wenn sie jetzt in die Bildung ihrer Kinder investieren, sie langfristig viel mehr davon haben, als wenn sie jetzt arbeiten.
Klartext: Wie siehst du Hand des Menschen in der Zukunft?
Carolin Seidel: Ich habe keine Ahnung, wie es weiter gehen wird. Wir bauen, wie gesagt, nächstes Jahr die Schule – das ist mit ein Grund, warum wir damals Hand des Menschen gegründet haben – da freuen wir uns natürlich sehr.
Ansonsten hoffen wir natürlich, dass wir noch jede Menge Kinder mit unserer Arbeit erreichen. Wir hoffen dazu natürlich auch auf Nachwuchs – falls jemand Lust hat, sich zu engagieren, egal in welcher Form: Besucht unsere Seite. Oder mailt uns an unter info@handdesmenschen.de
Klartext: Welche Projekte würden dir denn in der Zukunft noch am Herzen liegen?
Ich habe unglaublich viel erlebt in den letzten Jahren, in denen ich in Indien war. Ein großes Problem, das ich sehe, ist der Müll. Außerdem die Thematik „Mädchenbeschneidungen“ und „Zwangsheirat“. Das sind solche Themen, die mir wirklich nahe gehen . Zunächst steht aber der Schulbau in unserem Fokus. Da die Schule für körperlich und geistig beeinträchtigte Kinder gebaut werden soll, die in Indien in manchen Augen weniger Wert sind als ein Tier (Ich habe erleben müssen, ein Kind vor dem Elternhaus angekettet vorzufinden), besteht hier dringend Handlungsbedarf, um das Leben der Kinder zu verbessern.
Klartext: Wir danken dir für das Interview und wünschen dir viel Glück bei deiner weiteren Arbeit.
(Das Interview führten Pauline Müller und Tilmann Koch)