Schulleben

Eindrücke aus dem „Zug der Erinnerung“

Vom 22.10-24.10.12 stand der Zug der Erinnerung am Bahnhof Böbig in Neustadt. Initiiert wurde das Projekt unter anderem von der „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ – AG (wir berichteten). Wir möchten euch von Eindrücken aus dem Zug berichten und einige Denkanstöße geben.

Die Ausstellung befand sich in 2 Wagons aus den Siebziger Jahren, die zu diesem Zweck völlig umgestaltet wurden. Außen standen dort große Schwarzweißbilder einiger deportierter Kinder. Im ersten Wagon ging es vor allem um viele Einzelschicksale von jüdischen Kindern. Die Biografien wurden nicht nur mit Texten, sondern auch mit vielen Bildern und Auszügen aus alten Dokumenten ergänzt. In diesem besonderen Umfeld berührten einen die Schicksale sehr, man wurde sich bewusst, dass auch in Neustadt jüdische Kinder deportiert wurden und mit Zügen in ihr Verderben fuhren. In einem speziellen Abteil am Ende des Zuges war Platz für Plakate, welche sich mit den Geschichten von Juden aus der jeweiligen Stadt beschäftigten, erstellt von den Schülern der „SoR – SmC“ – AG. Für die Besucher war der Zug eine Chance außerhalb des Geschichtsbuch etwas über die Zeit zu lernen und sich intensiver mit den erschreckenden Schiksalen von Kindern auseinanderzusetzen. Im Zug herrschte trotz der vielen Schüler eine ruhige, betrübte Stimmung. Jeder schien mit seinen Gedanken beschäftigt, auch nach dem Verlassen des Zuges.

Der zweite Wagon beschäftigte sich mit den Tätern, vor allem mit denen, die die Deportation durchführten. Man erfuhr, dass die Deportierten selbst für ihre Zugfahrt bezahlen mussten und ausgeraubt wurden. Die Reichsbahn bereicherte sich ebenfalls am Holocaust. Hohe Funktionäre der damaligen Zeit wurden auf den Ausstellungswänden zitiert, etwa mit folgendem Satz: „Ich habe nur unterschrieben, verantwortlich war ich nicht!“. Diese Antwort gab ein Verantwortlicher in Bezug auf die Deportation von 1000 Juden in ein Vernichtungslager nach Polen. In einem Interview-Ausschnitt, welcher auf einer Leinwand zu sehen war, beteuerte ein ehemaliger Lokführer, nicht gewusst zu haben, was in Treblinka passierte. „Für mich war das ein Ziel wie jedes andere“. Doch wie kann das sein? Es ist schockierend, dass damals so viele mitgemacht haben.

In einer ebenfalls im Zug zu sehenden Dokumentation der Deutschen Bahn zum 150 Jährigen Jubiläum im Jahre 1985 wurde die NS-Zeit einfach übergangen! Es ist von einem Aufschwung im Jahr 1937 die Rede, der Krieg, die Millionen Opfer, der Holocaust, all das wird unglaublicherweise in einem lapidaren Satz abgehandelt: „Und dann kam alles ganz anders“. Danach ist von den enormen Schäden am Schienennetz die Rede und den enormen Schulden, 8 Milliarden Reichsmark werden explizit erwähnt. Die 6 Millionen Juden, von denen viele durch die Reichsbahn deportiert bzw. in die Vernichtungslager gebracht wurden, bleiben unerwähnt. Man könnte jetzt argumentieren, dass sich Deutschland auch 1985 noch schwer tat mit der korrekten Aufarbeitung der 12 Jahren unter Hitler, doch diese Dokumentation wurde bis 2009 verbreitet. „Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2012, eine Entschuldigung oder Erklärung der Deutschen Bahn – AG bzw. der Bundesbahn, der Nachfolger-Gesellschaft der Reichsbahn, bleibt bis heute aus“, so ein Mitarbeiter des Zugs der Erinnerung in einem Vortrag. Differenzierte Untersuchungen seien vom Bundestag (zuletzt 2005) und der Bahn abgelehnt worden. Der Zug der Erinnerung markiert einen Anfang bei der Aufklärung, erinnert an die Opfer und die Täter. Man wird beim Besuch der Ausstellung zum Nachdenken angeregt:  Warum verdrängten viele ihre Taten?  Was hätte man an ihrer Stelle gehabt?

Der Verein „Zug der Erinnerung e.V.“, der hinter der fahrenden Ausstellung steht, hat mit hohen Nutzungsgebühren des Schienennetzes zu kämpfen. Bis zu 5000 Euro pro Aufenthaltstag können anfallen.  Dass der Zug durch die Pfalz rollt, ist neben den vielen Sponsoren und privaten Spendern auch dem Land Rheinland-Pfalz zu verdanken, das die Veranstaltung bezuschusste.

Der Besuch des rollenden Museums war auf jeden Fall eine Bereicherung und ein außergewöhnliches Erlebnis. Bei der Abschlussveranstaltung am Mittwoch den 24.10.12 konnten einige Schüler des Käthe ihre Eindrücke vom Forschen nach den Spuren jüdischer Kinder in Neustadt schildern. Die Zuhörer fanden es toll zu sehen, dass Jugendliche sich derart engagieren und sich mit dem Thema beschäftigen.

Leider wurde  in den Zeitungsberichten zum Großteil nur der Streit zwischen der Stadtspitze und Herrn Minow (Vorsitzender „Zug der Erinnerung e.V.) thematisiert. Das Engagement der Schüler, das Gedenken an die Opfer und zuletzt die fragwürdige Rolle der „DB“ kamen dabei meiner Meinung nach zu kurz, was höchst bedauerlich ist! Trotzdem sind die Schüler der „SoR-SmC“-AG im Allgemeinen zufrieden. Sie haben es geschafft den Zug nach Neustadt zu holen und viele Besucher nahmen das Angebot an. Mit der Abreise des Zuges reißt die Gedenkarbeit, die die Stadt Neustadt schon seit langem leistet (vgl. Stolpersteine, KZ-Gedenkstätte etc.) und das Engagement der Schulen gegen Rechtsextremismus keinesfalls ab.

Anmerkung (29.10.12): Die Rheinpfalz führte heute ein Interview mit Vertretern der „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ – AG, um eine Berichterstattung über die Arbeit rund um den Besuch des Zugs nachzuholen. Die Reporterin bat um Verständnis, dass sich die Rheinpfalz kurzfristig in ihrer Berichterstattung an die Umstände anpassen musste, und daher einige Dinge aufgrund des beschränkten Platzes zu kurz gekommen seien. Die Schüler hoffen nun auf einen Bericht, der das nicht selbstverständliche Engagement der Schüler fernab politischer Diskussion würdigt. Denn den Schülern der AG ging es hauptsächlich darum, den Zug zum Gedenken nach Neustadt zu holen, und war über die Entwicklung der Berichterstattung in der Zeitung wenig erfreut. Dennoch sehen sie die Aktion als Erfolg, immerhin haben sie es geschafft, durch Spenden den Halt des Zuges in Neustadt zu ermöglichen.

Jonas-Luca König (MSS 13)

 

 

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