„Vergesst nie, dass auch euer Tun einmal Tradition wird.“
– Paul von Hindenburg
Eine Petition fordert, dass die Neustadter „Hindenburgstraße“ umbenannt wird – der Mann, welcher Hitler an die Macht gebracht habe, soll nicht länger durch einen eigenen Straßennamen geehrt werden. Doch gilt es, diese Forderung zu hinterfragen.
Der preußische Generalfeldmarschall, welcher sich vor allem durch die Schlacht bei Tannenberg im Ersten Weltkrieg [1914] Ruhm verschaffte, wird 1925 durch eine direkte Wahl des Volkes zum Reichspräsidenten gewählt. Trotz einer monarchistisch gesinnten Einstellung liegt es nun in seiner Aufgabe, die Weimarer Republik als Staatsoberhaupt zu festigen.
Hitlers als Reichskanzler zu ernennen erscheint dies enorm zu hemmen.
Und dies ist der Ausgangspunkt für die Diskussion bezüglich der Straßenumbenennung.
Zunächst gilt es die Umstände der Zeit zu betrachten. Durch was wurde die Ernennung Hitlers initiiert? Einzig Paul von Hindenburg die Schuld zu zuweisen, welcher den „böhmischen Gefreiten“ ernannte, vergisst die Multikausalität der Geschichte.
Nicht nur der 30. Januar 1933 ist ein wichtiges Datum in Verbindung mit der Machtergreifung Hitlers. Seit 1930- der Rücktritt des Kabinetts Müllers – kam es zu einer massiven Machtverlagerung der Legislative zugunsten des Reichspräsidenten. Und hier ist die mögliche „Schuld“ Hindenburgs zu suchen: Denn er bedient sich seiner übermächtigen Stellung in vollem Maße: Mithilfe des §48 [Veranlassen von Notverordnungen ohne Zustimmung des Parlaments] in Kombination mit §25 [ dem Recht, dass der Reichspräsident das Parlament auflösen darf; nach 60 Tagen finden Neuwahlen statt] wurde das Demokratiedefizit der Republik durch eine teilweise diktatorische Gewalt verstärkt: Es wurde ohne – und auch gegen die parlamentarische Mehrheit gehandelt, sodass die Ausnahmesituation zum Normalfall wird. Dieser gar antidemokratische Schritt führt gleichermaßen zu Frustration in der Bevölkerung. Denn was Hindenburg dadurch fördert, ist ein autoritär politisches System, jenseits einer parlamentarischen Demokratie. Hinzu kommt die Passivität Hindenburgs, der sich beispielsweise nicht gegen Brüning [Reichskanzler 1930-32] und dessen Deflationspolitik- wodurch das Elend der Bevölkerung stetig wuchs- stellte sowie die Unterstützung Franz von Papens [RK 1932], welcher beispielsweise das von Brüning verabschiedete SA- Verbot aufhob, lassen Hindenburg zu einer entscheidenden Person im Handlungsgeflecht werden. Dessen passives Handeln lässt sich dadurch unterlegen, dass er die Intrigen Papens gegen den aus damaliger Sicht sozialistischen Reichskanzler Kurt von Schleicher gewährt [„Duumvirat von Papens und Hitlers] , und sich nicht gegen den „Preußenschlag [20. Juli 1932; gewaltsame Absetzung der in Preußen amtierenden Weimarer Koalition] stellt. Hindenburg lässt Fatales geschehen und entlässt, als es zu spät ist. Drahtzieher, wie sein Sohn Oskar, welcher als maßgeblicher Berater fungiert, ergänzen dies- und führen zum Nachgeben Hindenburgs für die eigenen Ideen.
Andererseits sollte man hier anmerken, dass die Parteien die „Entparlamentisierung“ gewähren. Aufgrund eines Mangels an politischer Praxis, verhaftet in obrigkeitsstaatlicher Tradition , befindet sich der Reichtstag in einem Zustand der Kompromissunfähigkeit- die Unfähigkeit der Parteien, von ihren parteipolitischen Grundsätzen ein Stück abzurücken und im Interesse der Regierungsfähigkeit notwendige Kompromisse zu schließen- dadurch entmachtet sich der Reichstag selbst. Die Koalition der Parteien der Mitte zerbricht durch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise[z. B an der Frage, wie Defizite in der Arbeitslosenversicherung gedeckt werden könnten] und stärkt dadurch die radikalen Randparteien [NSDAP;KPD]. Anstatt sich zu verbünden und dadurch eine Schutzmauer um die links- und rechtsradikale Parteien zu bilden, verfolgen die demokratischen Kräfte ihre eigenen Ziele.
Die SPD ist unfähig, Kompromisse mit der KPD einzugehen, während es auf „rechter Seite“ zu einem Schulterschluss in Form der „Harzburger Front“ kommt. Als Ausweg aus den Gefahren, die der deutschen Demokratie von links und rechts drohten, wird Hindenburg.
Bei der Reichspräsidentenwahl von 1932 setzt sich Hindenburg mit Unterstützung von Zentrum und SPD gegen Thälmann [KPD] und Hitler [NSDAP] durch. Es erscheint daher verwunderlich, dass vor allem die SPD für eine Umbenennung der Hindenburgstraße eintritt während diese 1932 Hindenburgs Macht noch befürwortet.
Ein Argument, was oft fällt ist, dass es die freie Entscheidung des Reichspräsidenten gewesen sei, den Parteiführer der NSDAP zum Reichskanzler zu ernennen und mit dem höchsten Regierungsamt zu betrauen: „Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler war nur eine von mehreren Möglichkeiten. Hindenburg hatte die freie Wahl. Er entschied sich für einen Weg, der das Tor zur Barbarei weit öffnete“. Hindenburg sei keine Marionette gewesen, er habe diese Entscheidung aus freien Stücken getroffen.
Doch was wären die Alternativen gewesen? Hätte er Kurt von Schleichers Vorhaben[im Januar 1933], den Reichstag aufzulösen und mithilfe der Notverordnung zu regieren, zustimmen sollen? Dadurch wäre Hindenburg eher in die Defensive geraten und hätte vor allem den Wut der bürgerlichen Parteien befördert. Außerdem liegt der Aussage das heutigen Demokratieverständnis zugrunde. Die Beurteilung der Vergangenheit, insbesondere die Zeit vor 1945, muss an den Umständen der damaligen Zeit gemessen werden. Lässt sich 1933 erahnen, was für ein Ausmaß Hitler anrichten wird? Mancher Historiker wirft dem Reichspräsidenten vor, den verbrecherischen Charakter Hitlers erkennen zu müssen. Hindenburg hegt auch große Abneigung gegen Hitler, doch konnte er zu diesem Zeitpunkt die Bilder des KZ, der Massenvernichtung vor sich sehen?
Wenn man schon von dem heutigen Blickwinkel aus die Situation betrachtet, gehört es dann nicht zu den Pflichten eines Staatsoberhauptes, ein kooperatives Verhältnis zum Regierungschef [ Reichskanzler] zu pflegen – auch wenn ihm dieser noch so widerwärtig ist? Adolf Hitler ist der Repräsentant der am Stärksten im Reichstag vertretenen Fraktion. Mithilfe der DNVP stellte sie eine mehrheitsfähige Regierung [06.11. 1932: NSDAP: 33,1%], die Partei wird auf legale Weise vom Volk gewählt.
Es ist die Mehrheit, die das System Weimars nicht trägt und den Aufstieg des NS befördert.
Es ist deren Mentalität, deren Denken, was die Demokratie verdirbt. Bedingt durch die gesellschaftliche Fragmentierung kann man sich nicht länger in der „Mitte“ vertreten sehen, eine Identifikation vieler Bürger mit der Republik findet nicht statt. Die Frustration über den Versailler Vertrag, die Weltwirtschaftskrise, welche zur Verelendung großer Teile der Bevölkerung führte, stützt die Demagogie, den Terror und den Aufstieg der NSDAP. Paul von Hindenburg führt so gesehen aus, was das Volk verlangt. Eine Verweigerung scheint möglich, doch kann man nur schwer sagen, welches Ausmaß dies mit sich gebirgt hätte.
Um also zur Ausgangsthematik zurückzukehren, sollte man bedenken, dass die Schichten des gesellschaftlichen Lebens und Wirkens dicht aufeinander ruhen – im Späteren begegnet Früheres, gegenwärtig und lebendig. Man kann durch eine Entsorgung schwieriger historischer Namen die Vergangenheit nicht korrigieren. Stabilisiert die Umbenennung einer Straße unsere Demokratie? Viel wichtiger erscheint ein öffentlicher Diskurs, die Feststellung, dass nicht nur Hindenburg ein Totengräber der Weimarer Republik gewesen seien könnte, sondern auch das Volk, welches als Steigbügelhalter Hitlers fungierte. Es kommt auf eine Integration in unsere kollektive Biographie an, sodass wir nicht die Fehler von damals begehen. Das Ermächtigungsgesetz setzt sich nicht nur durch Hindenburg durch, es erlangt parteiübergreifende Zustimmung. Natürlich erscheint eine „Konrad- Adenauer-Straße“ weniger problematisch als eine „Hindenburgstraße“, doch müssen wir uns diesem Konflikt stellen. Nicht „Hindenburg“ ist die Schwierigkeit, vielmehr der Umstand der Zeit. Hinweisschilder, angebracht unter dem Namen der Straße, öffentliche Diskussionen oder Hinweise auf der Internetseite der Stadt Neustadt können darauf aufmerksam machen. Eine Abänderung bewirkt lediglich ein Verdrängen der Vergangenheit. Für ein stabiles Deutschland kommt es aber darauf an, sich dieser bewusst zu stellen.
Teresa D. (12Jgs.)