Vor genau 86 Jahren fand die Reichspogromnacht – im deutschen Sprachraum beschönigend „Reichskristallnacht“ genannt – statt. Ein Ereignis, das nicht nur im fernen Berlin und in anderen großen Städten, sondern auch in den kleinen wie Neustadt Spuren hinterlassen hat. In diesen unsteten Zeiten eine Mahnung an alle, dass sich so ein Zivilisationsbruch nie wieder ereignen darf.
Vom 9. auf den 10. November 1938 vereiteten die Nationalsozialisten und deren Anhänger in der jüdischen Bevölkerung Angst und Schrecken: Jüdischer Geschäfte, Häuser und Synagogen wurden vielerorts Opfer der Flammen, während die jeweils ansässige Feuerwehr jede Hilfe unterließ. Jüdinnen und Juden wurden körperlich angegriffen, viele unter fadenscheinigen Behauptungen im Anschluss verhaftet; eine erste Kostprobe der menschenverachteteten Ideologie des Nationalsozialismus, die mit dem Holocaust ihren perversen Höhepunkt erreichen sollte.
Auch in Neustadt zerstörten mehrere Mitglieder der SS jüdische Geschäfte und brannten die örtliche Synagoge nieder. Die Befehle dafür wurden über die SS-Dienststelle in Neustadt (Haardter Treppenweg 3) weitergeleitet (Mehr zu Neustadts brauner Vergangenheit findet ihr hier.). Der angebliche spontan entstandene Volkszorn war von der NSDAP akribisch vorbereitet worden und wurde in den Medien als Reaktion auf das Attentat auf den Legationsrat der deutschen Botschaft in Paris durch einen polnischen Juden begründet. Tatsächlich sollte damit auch die sogenannte Arisierungspolitik im Reich beschleunigt werden.
Seien wir ehrlich: Wer von euch hat nicht schon die Argumentation gehört, das Ganze sei doch schon so lange her; solche Gedenktage brächten nichts, weil sie allzu oft ritualisiert abliefen.
Nun, 86 Jahre später und elf Monate nach dem Angriff der Hamas auf Israel sowie dessen militärische Reaktion darauf, die bis heute andauert, zeigt sich allerdings: Das Thema ist leider immer noch aktuell. Selbst beim eigentlich völkerverbindenden Fußballsport wurde die Welt vorgestern nach dem Europa-League-Spiel von Ajax Amsterdam gegen Maccabi Tel Aviv Zeuge, dass der Judenhass wieder an der Tagesordnung ist. Dieser wird dann in einschlägigen Kreisen gerne mit Israelkritik begründet.
Wir sagen klar und deutlich: Dieser Gedenktag – auch wenn er sich zum sechsundachtzigsten Male jährt – ist und bleibt wichtig:
– Er zeigt uns, wie ein Hass auf und Hetze gegen eine Gruppe in perfide Gewalt ausarten kann.
– Er kann uns alljährlich die Möglichkeit geben, uns mit dem Unbequemen, dem Schlimmen und Widerwärtigen unserer Geschichte auseinanderzusetzen.
– Er kann uns dadurch lehren, welche Schritte unternommen werden müssen, um eine solche Wiederholung zu verhindern, und das bezogen auf alle ethnisch-religiösen Konflikte auf der ganzen Welt!
Eines steht fest: Die Gewalt gegen Juden war und bleibt falsch. Und wie auch immer Menschen zu dem Nahost-Konflikt stehen mögen: Eine Kritik an Israel rechtfertigt in keiner Weise den Angriff auf Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens! Weder damals noch heute!
Ruben Wagner (Chefredakteur, 12. Jgs.)