Bilinguale Erziehung, effektiv oder doch unnötig? In Deutschland wachsen rund 20% der Kinder zweisprachig auf. Wir werfen einen genaueren Blick darauf und berichten von den Vor-und Nachteilen.
Eine zwei- oder sogar mehrsprachige Erziehung mag für viele sehr anstrengend klingen und dies kann auch durchaus der Fall sein. Eine besondere Herausforderung stellt hierbei die Konsequenz, die vor allem in jungen Jahren wichtig ist, dar, aber auch die erforderliche Ausdauer von Eltern und Kind spielt eine große Rolle. Doch was bewegt die Eltern solcher Kinder zu so einer Entscheidung?
Wir haben ebenfalls eine solche bilinguale Erziehung erfahren (einmal russisch-deutsch und einmal spanisch-deutsch) und werden euch abwechselnd von unseren eigenen Erfahrungen und unserer Sichtweise auf dieses Thema erzählen.
Die häufigsten Beweggründe
Die Entscheidung meiner Eltern, mich neben deutsch auch noch russisch aufwachsen zu lassen, war schon von Anfang an ziemlich klar. Da meine Mutter aus Russland kommt, und außer der Familie meiner Tante niemand sonst mütterlicherseits in Deutschland wohnt, war der Grund mir ihre Muttersprache beizubringen ziemlich offensichtlich – sie wollte mir eine engere Beziehung mit meinen Großeltern und den restlichen Verwandten ermöglichen, indem sie mir die Sprache beibringt.
Der häufigste Grund für Eltern ihr Kind zweisprachig zu erziehen ist, dass beide Eltern verschiedene Muttersprachen haben. Häufig spricht dabei ein Elternteil die Landessprache, weshalb diese oft die besser gesprochene Sprache des Kindes ist. Ein weiterer Beweggrund ist, dass die Familie im Ausland lebt und mit der bilingualen Erziehung bezwecken will, dass das Kind beim Erlernen der Sprache des neuen Landes nicht die Muttersprache des Heimatlandes verlernt. Es kommt aber auch vor, dass Eltern ihrem Kind eine Sprache beibringen wollen, die nicht ihre eigene Muttersprache ist (häufig Englisch), mit der Begründung, es würde einen Vorteil in der Schule bringen. Dies wird jedoch von den meisten Experten als eher kritisch betrachtet, weil neben der Qualität des Sprechens, auch der Wortschatz oft kleiner ist.
Für meine Eltern war der wesentliche Grund für eine zweisprachige Erziehung auch, dass ich mit meiner Familie, die überwiegend in Chile wohnt, kommunizieren kann und durch die Sprache in Kontakt mit deren Kultur und somit auch mit meinen Wurzeln komme. Meiner Mutter war es außerdem sehr wichtig generell mit uns in ihrer Muttersprache zu reden, weil es sich für sie natürlicher anfühlt und sie so ein bisschen Heimat bei sich trägt. Sie wollte uns damit auch unseren Horizont erweitern, da Spanisch eine sehr häufig gesprochene Sprache ist und wir so später viel mehr Möglichkeiten haben.
Wie funktioniert das?
Damit es nicht versehentlich dazu kommen konnte, dass ich Russisch und Deutsch als kleines Kind mische, haben meine Eltern sich darauf geeinigt, dass jeder von ihnen mit mir auf seiner eigenen Muttersprache kommuniziert. So konnte ich gut auseinanderhalten, wann ich gerade welche Sprache gesprochen habe. Inzwischen spreche ich mit meiner Mutter auch oft Deutsch, weil ich nun Russisch gut genug beherrsche, sodass es für mich kein Problem mehr darstellt, überwiegend Deutsch zu Hause zu sprechen. Der Grund warum ich dennoch nicht aus der Übung gerate, ist, dass ich oft mit meinen Großeltern telefoniere und auch ab und zu Bücher lese oder Filme gucke, die russisch sind.
Bei einer bilingualen Erziehung wird neben der Landessprache auch noch eine weitere Sprache mit dem Kind gesprochen. Wie schon oben erwähnt ist diese meistens die Muttersprache eines oder beider Elternteile. Der Trick dabei ist, dass das Kind direkt beide Sprachen hört und so auch beide lernt zu sprechen. Damit es aber nicht zu Vermischungen der Sprachen kommt, macht es Sinn, dass die Eltern sich darauf einigen wer von ihnen welche mit dem Kind spricht. Sobald das Kind jedoch älter wird und in der Schule das Lesen und Schreiben seiner Landessprache beigebracht bekommt, ist es selbstverständlich so, dass diese Sprache dann leichter fällt, als die die man nur zu Hause spricht. In manchen Schulen wird deshalb ein spezieller Muttersprachler Kurs angeboten, der dann auch mit Note ins Zeugnis mit einfließt.
Seit ich klein war, hat meine Mutter versucht mir ihre Muttersprache beizubringen, wobei sie mir neben dem Reden auch Bücher auf Spanisch vorgelesen hat oder wir zusammen lateinamerikanische Musik gehört haben. Dadurch konnte ich schon immer sehr gut die Sprache verstehen und auch zum Teil gut sprechen. Da meine Eltern aber nicht immer so konsequent waren, kann ich heute nicht perfekt sprechen, frische aber immer wieder meine Sprachkenntnisse auf, wenn ich zum Beispiel bei meiner Familie zu Besuch bin oder ich mich mit der Latina-Freundesgruppe meiner Mutter unterhalte.
Aller Anfang ist schwer…
Auch ich erinnere mich noch gut an Momente, in denen ich das ganze eher als Belastung, und nicht als Spaß empfunden habe. Öfter gab es die Situation, dass ich mal so gar keine Lust hatte auf Russisch zu sprechen und meiner Mutter lieber auf Deutsch geantwortet hätte, da es so schneller und einfacher ging. Da sie aber selbst Lehrerin ist und so weiß wie man eine Sache konsequent durchzieht, durfte ich mir dann anhören (natürlich auf Russisch): „Du musst mir auf Russisch antworten, sonst kann ich dir leider nicht weiterhelfen.“, was mich damals natürlich tierisch aufgeregt hat, aber inzwischen kann ich es doch ganz gut nachvollziehen.
Eine bilinguale Erziehung ist jedoch ein langwieriger und manchmal auch sehr nervenaufreibender Prozess. Bis zu einem gewissen Alter ist es ziemlich einfach, mit dem Kind auf mehreren Sprachen zu kommunizieren, sobald das Kind aber in den Kindergarten und dann auch in die Grundschule kommt, wird die ganze Sache schon etwas komplizierter. Es ist nämlich so, dass das Kind nun täglich in der Landessprache spricht und auch im Alltag wenig auf seine zweite Muttersprache zurückgreifen muss. Da kann es schonmal vorkommen, dass gerade die Motivation fehlt, sich zu Hause nochmal anzustrengen und mit einem Elternteil auf einer Sprache zu sprechen, die man sonst nicht den ganzen Tag hört und nutzt. Doch wenn man nicht aufgibt, ist es dennoch möglich, dass man Erfolg hat und die Arbeit sich auszahlt. Denn gerade in jungen Jahren ist das Gehirn sehr flexibel und somit eher für neue Sprachgebilde offen. Deshalb ist eine zweisprachige Erziehung direkt nach der Geburt auch so effektiv: Das Kind lernt die zweite Sprache genauso intuitiv wie die Erstsprache, also fast wie von selbst. So heißt es auch „kinderleicht lernen“ und nicht „erwachsenenleicht“.
Natürlich war oder ist es bei mir auch oft so, dass ich aus Bequemlichkeit heraus meiner Mutter eher auf Deutsch antworte, da ich dabei nicht so viel überlegen muss und in der Sprache ein größeres Vokabular habe. Eine andere Sache, die mich auch als Kind schon daran gehindert hat auf Spanisch zu sprechen ist, dass ich das Gefühl hatte, andere, zum Beispiel Freunde die bei mir zu Besuch waren, auszuschließen, wenn ich auf einer Sprache rede, die sie nicht verstehen.
„Die frühe Mehrsprachigkeit hat den Vorteil, dass Kinder Sprachen erwerben, ohne sich dafür bewusst anstrengen zu müssen.“ – Anja Leist-Villis (Expertin für bilinguale Erziehung)
Auswirkungen in der Zukunft
Was mir persönlich aufgefallen ist, ist dass mir Schulfächer die etwas mit Sprache zutun haben (Deutsch, Englisch…), viel einfacher fallen als z.B. Naturwissenschaften wie Mathe, Physik etc. So brauche ich mir Vokabeln nur zweimal durchzulesen um sie zu beherrschen und auch die Aussprache zu lernen fällt mir um einiges leichter. Das bekannte Vorurteil: Kinder, die mit mehr als einer Muttersprache aufwachsen, würden die Landessprache weniger gut beherrschen oder mehr Probleme mit ihr haben, trifft so auf keinen von uns beiden zu. Ganz im Gegenteil: Deutsch gehört sogar zu unseren Lieblingsfächern.
Wenn man als Kind mehrsprachig aufwächst, bringt das einem meist viele Vorteile in der Zukunft. Diese machen sich zum Beispiel beim Lernen weiterer Sprachen bemerkbar, da man schon von klein auf ein gutes Gefühl für Sprachen entwickelt. Außerdem stehen einem bei der Berufswahl mehr Türen offen, da man in Bereichen, die Mehrsprachigkeit, Internationalität oder Kommunikation erfordern, mehr Möglichkeiten hat. Natürlich machen sich diese Sprachkenntnisse auch in Urlauben und bei Familienbesuchen in anderen Ländern nützlich. Trotz all dieser Privilegien gibt es auch Nachteile die bei einer bilingualen Erziehung auftreten können. Viele Kinder erleben Ausgrenzung in der Schule und im Alltag, wenn sie zum Beispiel keine der Sprachen richtig beherrschen und somit Probleme mit der Aussprache und der Grammatik bekommen. Außerdem kann es vorkommen, dass man wegen der zweiten Sprache oder einem Akzent gehänselt wird.
Eigene Erfahrungen
Wir können sagen, dass es durchaus schwer ist, aber es sich lohnt. Eine andere Sprache sprechen zu können, und das schon seit man denken kann, ohne sie wirklich bewusst „gelernt“ zu haben, ist ziemlich cool. Auch ist es schön in der Lage zu sein, mit seiner anderen Familienhälfte zu kommunizieren und man sich einfach generell mehr mit seiner zweiten Staatsangehörigkeit verbunden fühlt. Bei Besuchen der Familie im Ausland ist man also genauso zu Hause wie im Heimatland selbst. Da macht es auch nichts wenn man sich früher manchmal durchbeißen musste.
Mein Berufswunsch, etwas im Bereich Eventmanagement zu machen, könnte sich durchaus auf meine zweisprachige Erziehung zurückführen lassen. So war es für mich schon immer klar, dass ich später einmal etwas machen möchte, bei dem ich international beschäftigt bin und mit Leuten aus verschiedenen Ländern arbeite. Auch das Reisen selbst macht mir sehr viel Spaß und ich habe wenige bis überhaupt keine Hemmungen, mich im Ausland aufzuhalten und neue Menschen kennenzulernen. Ich fliege schon (zumindest war es vor Corona so) seit ich klein bin regelmäßig nach Russland und habe mich dort sogar schon einmal mit ca. 11 Jahren ohne meine Eltern für 2 Wochen bei meinen Großeltern aufgehalten, was mir sehr viel Spaß gemacht hat.
Amelia S. / Daniela W. (9. Kl.)