Debatte

Achtung, Glosse: 111 Jahre verrücktes Schulhaus – besser geht’s nicht!

Der Altbau im Wandel der Zeit

Liebe Baustellenfans, es ist wieder soweit! Wie zuletzt 2012 feiert unsere Schule unser Schulgebäude, genauer gesagt „Das verrückte 111-jährige Schulhaus“, samt Kostümierung wie vor 111 Jahren. Ein Jubiläum besonderer Güte! Wahnsinn! Welche Ehre, dass WIR so etwas miterleben können! Welche Freude, morgens unausgeschlafen, aber auch andächtig am Toilettenhäuschen zu stehen und im Sonnenaufgang den majestätischen Anblick dieses Gebäudes erblicken zu dürfen, haben wir es doch hier mit deutscher Architekturkunst der Kaiserreichszeit zu tun! Und tatsächlich: Optisch macht der Altbau auch nach 111 Jahren was her und thront über der Innenstadt. Eigentlich sollte das ein Grund zur Freude sein…

111-mal Gold bei der Baustellenolympiade: ein weiterer Rekord!

Und erst die unterrichtlichen Möglichkeiten: Wird nicht jeder Unterricht pädagogisch wertvoller, wenn man im Altbau sitzt?! Kann man zum Beispiel nicht viel praxisnaher in Sozi über das Heizungsgesetz diskutieren, wenn man die Gedanken abschweifend durch 111 Jahre alte Fenster mit 111 Jahre vor sich hin bröckelndem Kitt sieht? Danke, Denkmalschutz!

Wobei die Zeit nicht ganz stehen geblieben ist. Auch 111 Jahre nach dem Schulbau wird im Gebäude gehämmert, geschraubt, geflickt, gebastelt: ein paar geweißelte Wände, hier und da ein neuer Fußboden, neue Toiletten sowie kilometerweise aufgeschraubte Kabelkanäle lassen das 21. Jahrhundert in die altehrwürdigen Hallen einziehen. Hey, letztere sind ja auch ein Denkmal, ein Zeugnis vergangener Zeiten, als Kabelkanäle noch zum Industrial Look gehörten.

Zeitreise ins Jahr 1912: Ein Blick auf die nicht so rosige Vergangenheit

Doch werfen wir einen Blick zurück: 1912 war die Schule alles andere als ein Ort des Komforts und der Gleichberechtigung. Die Schülerinnen der Höheren Töchterschule von 1912 hätten sicherlich einige Geschichten über ihre harten Holzbänke, strenge Lehrerinnen und veraltete Lehrmethoden zu erzählen. Deshalb sollten wir uns auch heute in den schrulligen Kostümen daran erinnern, wie privilegiert wir im Vergleich zu damals sind.

Ein Fest mit Augenzwinkern

Machen wir uns ehrlich: Deutschland fährt auf Verschleiß: Für Bildungsanstalten wird nur dann Geld ausgegeben, wenn es unbedingt sein muss, etwa wenn mal wieder neue Brandschutzmaßnahmen anstehen oder es langsam dämmert, dass Overheadprojektoren nicht mehr en vouge sind

Bildlich gesprochen: Der 111 Jahre alten, am Rollator gehenden Uroma Käthe, die eigentlich ein neues Hüftgelenk und eine wirksame Physiotherapie bräuchte, tauscht man lieber erst mal ein quietschendes Rollatorenrad – ist halt billiger, hält auch bestimmt ein paar Jahre. Eine Kernsanierung wäre überfällig, im übrigen bei fast allen Neustadter Schulen! Dass das alles nicht passiert: ganz schön verrückt, oder? Willkommen in Deutschland, der real gewordenen Zeitmaschine!

1912 sank übrigens die Titanic, das modernste Schiff seiner Zeit. Wäre es nicht gesunken: Wer weiß, ob es noch immer irgendwo unter deutscher Flagge rumschippern würde. Bekanntlich setzt Deutschland bei der Energieversorgung ja teilweise wieder auf Kohle, das passt schon mal 😉

In diesem Sinne: Happy 111th, lieber Altbau! Mögen deine Kabelkanäle niemals versiegen und deine Toilettencontainer immer begehrt bleiben. Denn wir wissen, dass du uns in deiner ganz eigenen Art liebst, so wie wir dich lieben!

Josepha Westwood (12. Jgs.) und Ruben Wagner (11. Jgs.)

Glosse, die: kurzer journalistischer Text, in dem der Autor seine Meinung zu einem Thema humorvoll, satirisch und überspitzt darstellt.

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