Der Roman „Am Rand“ von Hans Platzgumer erschien 2016 in Wien. Er handelt von einem Mann, der auf einem einsamen Berg seine Lebensgeschichte aufschreibt. Er nimmt den Leser mit und bringt ihn dadurch wie von selbst auf die Frage, wie man in seiner Situation gehandelt hätte.
Der 42-jährige Gerold Ebner steigt früh morgens auf den einsamen Bocksberg um seine letzte Tat zu vollbringen und seinen einzigen vollständigen Roman zu schreiben; seine eigene Geschichte.
Gerold Ebner hatte nie ein einfaches Leben. Er wächst in Österreich in der Südtiroler Siedlung als Sohn einer Prostituierten auf. Seine Mutter kümmert sich nach seiner Geburt als katholische Altenpflegerin um Kranke und Alte. In der Schule wird er aufgrund des Berufes der Mutter gehänselt und fängt zusammen mit seinem Freund Guido an, zum Karatetraining zu gehen, um sich verteidigen zu können. Von seinem abgeschottet lebenden japanischen Trainer wird er auf die Härten des Lebens vorbereitet. Schon als Kind sieht er seinen ersten Toten und findet daran nichts Schlimmes. Als Erwachsener wird er selbst an zwei Morden beteiligt. Zuerst tötet er seinen tyrannischen Großvater und dann leistet er seinem Freund Guido Sterbehilfe. Bei beiden Morden lassen ihm seiner Meinung nach die Umstände keine andere Wahl.
Der Erzähler schreibt in einer exakten und detaillierten Sprache. Diese Schreibweise stimmt mit dem Charakter des Protagonisten des Buches überein. Gerold Ebner ist ein Mensch, der sein Leben kontrolliert und Nichts dem Zufall überlässt. Es handelt sich um eine Rahmenerzählung, in die eine Binnenerzählung eingeschlossen ist. Gerold Ebner steigt auf den Berg und schreibt dort seine Lebensgeschichte auf. Von dort aus wird die Geschichte erzählt und die Handlung springt auch immer wieder dorthin zurück. Bei Dingen, die ihm wichtig sind, wendet er sich öfter mit Aufträgen an den Leser. Diese Art, den Leser mit in die Geschichte einzubeziehen, bewirkt, dass der Leser nicht nur über das Handeln von Gerold Ebner nachdenkt, sondern auch beginnt sich selbst diese Fragen zu stellen. Die Schlucht vom Bocksberg steht als Metapher für die Schwelle zwischen Leben und Tod. Gerold Ebner lebt noch, aber steht nur einen Schritt vom Tod entfernt.
Der Roman wirft Fragen auf, ohne diese direkt zu stellen. Bei den konkreten und ausführlichen Beschreibungen der Lebenslagen von Gerold Ebner stellt sich der Leser automatisch die Frage, wie er selbst reagieren würde, wenn er alle seine Freunde und seine Familie verlieren würde. Dadurch, dass Gerold Ebner sein Buch auf dem Bocksberg versteckt, ist der Leser die erste Person, die sein neues Buch liest. Mit dieser Handlung möchte der Protagonist erreichen, dass nach seinem Tod endlich eine Person über seine Taten urteilt und sie bewertet.
Trotz der exakten und genauen Beschreibungen ist die Hauptperson schwer einzuschätzen, da man selten etwas über seine wirklichen Emotionen oder Gefühle erfährt. Im Allgemeinen ist es etwas mühsam das Buch über mehrere Tage zu lesen, da es nicht in Kapitel eingeteilt ist. So kann man schwierig eine Stelle finden, an der man das Buch unterbrechen kann.
Dadurch, dass der Erzähler immer zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart springt, lässt sich schon recht schnell vorausahnen, wie das Buch enden wird. Trotzdem verspürt der Leser das Bedürfnis herauszufinden, wie der Protagonist selbst die Situation bewältigt und wie es zu der endgültigen Situation kommen konnte. Dennoch hat man am Ende keine Klarheit, was endgültig mit Gerold Ebner passiert. Durch dieses offene Ende tritt der Leser in die Position des Protagonisten und trifft unbewusst die Entscheidung, ob er von dem Felsen springt oder nicht.
Das Buch ist durch die erwähnten Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit etwas schwieriger zu lesen. Trotzdem ist das Buch lesenswert und der Leser kann einige Erkenntnisse nicht nur über den Protagonisten, sondern auch über sich selbst erlangen. Zu empfehlen ist das Buch für Leute, die gerne tiefgründigere Bücher lesen und sich nicht nur oberflächlich mit diesen beschäftigen.
Pia Fiene (11. Jgs.)