Vor 35 Jahren, am 9. November 1989, fiel die Berliner Mauer. Ein Ereignis, das Deutschland und die Welt veränderte. Der Mauerfall bedeutete das Ende einer jahrzehntelangen Teilung, die Deutschland in „Ost“ und „West“ spaltete und Familien, Freunde und Lebenswege trennte. Der Mauerfall leitete auch den Anfang für das Ende der bipolaren Welt und dem Kalten Krieg mit seinem eisernen Vorhang ein. Für uns in Rheinland-Pfalz scheint dieser Teil der Geschichte oft weit weg, immerhin lag die Grenze nicht in unmittelbarer Nähe. Aber auch ohne sichtbare Betonmauer blieben die Spuren dieser Teilung tief in der deutschen Gesellschaft verankert – so tief, dass heute noch immer über die „Mauern im Kopf“ gesprochen wird. Doch was heißt das eigentlich? Und welche Mauern stehen noch immer in unseren Köpfen?
Die Mauer in den Köpfen: Gibt es sie noch?
Viele Menschen, die die DDR und den Mauerfall selbst erlebt haben, sagen, dass die Trennung trotz der Wiedervereinigung in ihrem Denken und Alltag spürbar bleibt. Noch immer gibt es Unterschiede im Leben zwischen „Ost“ und „West“. Diese sind manchmal wirtschaftlicher Natur – wie das durchschnittlich niedrigere Einkommen in Ostdeutschland – oder gesellschaftlich, sichtbar in den Wahlentscheidungen und politischen Ansichten, die sich besonders in den neuen Bundesländern anders entwickelt haben; ein Thema, welches wir im Artikel zum 3. Oktober letztes Jahr ein wenig genauer in die Lupe genommen haben.
Doch wie sehen wir als junge Generation diese Unterschiede? Für viele Jugendliche heute sind „Ossi“ und „Wessi“ nur Worte, die keine persönliche Bedeutung mehr tragen. Aber bedeutet das auch, dass die inneren Mauern völlig verschwunden sind? Wenn wir die Schlagzeilen der letzten Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg lesen, merken wir, dass Themen wie der Unterschied zwischen Ost und West nach wie vor stark präsent sind. In diesen Wahlkämpfen wurde oft darüber gesprochen, ob Ostdeutschland heute anders tickt und warum. Diese Fragen zeigen, dass die Mauer im Kopf für einige Menschen vielleicht noch nicht gänzlich gefallen ist.
Geschichte vor unserer Haustür: Welche Bedeutung hat der Mauerfall für uns?
Der Mauerfall ist für uns nicht nur Geschichte, sondern auch Teil unserer Identität als Deutsche. In Rheinland-Pfalz, fernab der damaligen Grenze, könnte es scheinen, dass die Mauer weniger Einfluss auf das heutige Leben hat. Auch in der Redaktion haben wir einige Mitglieder, dessen Eltern oder Familienteile aus der ehemaligen DDR stammen. Familien wurden getrennt, Verwandte und Freunde lebten plötzlich in verschiedenen Welten. Das Verständnis für die Auswirkungen dieser Teilung wächst, wenn wir uns Geschichten von Menschen anhören, die in der DDR gelebt haben, deren Familie in den Westen geflohen ist oder die den Mauerfall als besondere Chance erlebten. Auch heute erinnern uns Berichte und Erzählungen daran, dass die Freiheit, in der wir leben, nicht selbstverständlich war.
Die Zukunft: Einheit, Diversität und ein vereintes Deutschland?
Die Frage, wie viel „Mauer“ noch im Kopf ist, berührt uns alle. Sie erinnert uns daran, dass Einheit ein Prozess ist und dass Mauern – egal ob aus Beton oder aus Vorurteilen – oft länger bestehen bleiben, als man erwartet. Doch wir haben auch die Möglichkeit, neue Wege zu finden, die Gräben zu überwinden. Für uns Jugendliche ist es oft selbstverständlich, dass wir uns als „eins“ betrachten. Trotzdem erleben auch wir, dass Ost und West manchmal noch getrennte Welten sind, sei es in Gesprächen über Politik oder beim Reisen durch Deutschland.
Was wir daraus lernen können, ist vielleicht, dass Deutschland eine einzigartige Mischung aus Vielfalt und Einheit ist, vielleicht eine Art „Meltingpot“, die durch die Geschichte geprägt wurde. Die Wiedervereinigung hat den Grundstein dafür gelegt, dass wir uns als ein Land sehen, und die Herausforderungen, die es dabei gibt, bieten uns die Chance, als Gesellschaft zusammenzuwachsen. Vielleicht können wir die „Mauern im Kopf“ endgültig überwinden, indem wir uns öffnen und zuhören – den Geschichten derer, die noch Erinnerungen an die DDR haben, den Sorgen derer, die den Wandel nicht einfach fanden, und den Perspektiven aller, die zu einem vereinten Deutschland beitragen wollen.
Der 35. Jahrestag des Mauerfalls ist mehr als nur ein historisches Jubiläum: Er ist eine Einladung, über unsere eigene Sicht auf die deutsche Geschichte nachzudenken und zu fragen, was diese Teilung für uns heute noch bedeutet. Mit jeder Geschichte, die wir teilen, mit jedem Dialog, den wir führen, können wir ein Stück zur Überwindung der Mauern im Kopf beitragen. Wir als Generation Z haben die Möglichkeit, in einem Land zu leben, das trotz seiner Unterschiede zusammenhält und in dem Ost und West Teil einer gemeinsamen Zukunft sind.
35 Jahre nach dem Mauerfall bleibt es also nach wie vor unsere Aufgabe, die Mauern in den Köpfen weiter einzureißen und Deutschland als Einheit zu leben. Der Fall der Berliner Mauer war der Anfang – das Ende der Mauern in unseren Köpfen ist unsere Aufgabe, heute und morgen.
Ruben Wagner (Chefredakteur, 12. Jgs.)