Serie: Die Abi-Lotterie? Teil II: Interview mit Akteuren des KKG

Jeder, der sich über das Thema Studium informiert hat, kennt den Begriff Numerus clausus. Mittlerweile gibt es viele, die den Wunsch haben, auf einer Hochschule zu studieren, statt eine Ausbildung zu machen. Aber die Zahl an Studienplätzen reicht nicht aus, weswegen oft nur die Bewerber mit dem besten Notendurchschnitt ausgewählt werden. Es genügt also nicht das Abitur zu bestehen, um an seine Wunschuniversität zu gelangen. Doch was sagt die Abiturnote überhaupt noch aus in einer Zeit, in der immer mehr das „Abi“ machen?

Unser Ausgangspunkt für unser Interview ist ein Spiegel-Artikel aus diesem Jahr (24/2015). Dieser zeigte deutlich: Es gibt große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern in Deutschland bezüglich des Abiturs. Unter anderem interviewten wir unseren Schulleiter, Herrn Whittaker, die MSS-Leiterin Frau Clemens sowie Herrn Reger. Vor allem aber konnten wir unsere Bildungsministerin Vera Reiß für ein schriftliches Interview gewinnen [Hier Teil I lesen.]. Teil II unserer Serie widmet sich nun der Meinung an unserer Schule:

Redaktion: Finden Sie die heutigen Abiturprüfungen anspruchsvoller als noch vor 10 Jahren?

Frau Clemens: Nein, beides ist vergleichbar. Beispielsweise gab es damals ebenso wie heute Facharbeiten, um den eigenen Abiturschnitt zu verbessern.

Herr Whittaker: Nein, ich glaube, dass das Niveau relativ gleich geblieben ist. Man muss ferner bedenken, dass es eine Wissenszunahme gab, weshalb Schüler heutzutage mehr lernen müssen.

Herr Reger: Zu meiner Zeit war die Abiturprüfung anspruchsvoller, weil es damals keine Wahl zwischen einzelnen Fächern gab. Außerdem war das Gesamtwissen, beispielsweise in Religion, um einiges ausgeprägter.

Redaktion: Im Vergleich zu 2007 bestehen nun beinahe doppelt so viele Schüler  das Abitur. Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?

Frau Clemens: Heutzutage gibt es eine enorme Zunahme an Gymnasiasten, da es zum einen ein größeres Angebot an Gymnasien, zum anderen eine stärkere Förderung für Kinder aus Arbeiterfamilien gibt.

Herr Reger: Meiner Meinung nach ist der Anstieg der Gymnasiasten die Absicht der Bildungspolitik, denn das dreigliedrige Schulsystem wurde  bereits abgeschafft und die Abituranforderungen sinken allmählich. 

Redaktion: ,,Fast überall in Deutschland haben sich die Noten verbessert“ Können Sie dieser These zustimmen?

Frau Clemens: Im Gegenteil. Es lässt sich sogar sagen, dass es einen größeren Prozentsatz an Schülern gibt, die gefährdet sind, das Abitur nicht zu bestehen. Allgemein ist also noch keine Tendenz erkennbar. 

Herr Reger:  Eindeutig, bezogen auf die faktische Leistung!

Redaktion: Was sagt für Sie die Abiturnote aus?

Frau Clemens: Das Abitur entspricht einem Querschnitt. Das bedeutet, dass alle Fächer, sowohl Leistungskurse als auch Grundkurse, Gewicht in der Abiturnote haben und dass die kontinuierliche Leistung über die einzelnen Halbjahre widergespiegelt werden.

Herr Whittaker: Meiner Meinung nach ist die Abiturnote wichtig, jedoch sollte man den Hauptaspekt auf die Leistungskurse legen, die den Leistungsstand über die Jahre zeigen. Außerdem kann die Besondere Lernleistung (BLL) auch sehr aufschlussreich sein, sofern sie in die Abiturnote eingebracht worden ist. Zusätzlich darf man nicht vergessen, dass Sozialkompetenzen ebenfalls bedeutsam sind. Was wichtiger als die Abiturnote ist, ist die Frage, welche Schule dahinter steht und wie man ausgebildet worden ist. 

Herr Reger: Zunehmend sagt sie wenig aus, da das Abitur qualitativ unterschiedlich ist.

Redaktion: Was halten Sie von einem deutschlandweit identischen Prüfungsteil im Abitur?

Frau Clemens: Dies würde eine höhere Vergleichbarkeit für Arbeitgeber ermöglichen. Im Abitur wird ab dem Jahr 2017 ein zentraler Teil vom Land Rheinland-Pfalz gestellt und bietet somit einen landesweiten Vergleich.

Herr Whittaker: Da ich als Engländer auch das englische Schulsystem durchlaufen habe, habe ich als Schüler selbst ein Zentralabitur abgelegt. In England gibt es ein strenges Zentralabitur, womit man einen besseren Vergleich hat. Ich halte es aber für sinnvoll, nur einen Teil des Abiturs zentral zu stellen.

Redaktion: Dennoch werden immer wieder Stimmen nach einem Zentralabitur – wie in allen anderen Bundesländern – laut:

Frau Clemens: Falls es in Zukunft ein Zentralabitur mit vollkommen gleichen Aufgaben geben sollte, bedeutet dies geringere Freiheiten für Lehrer und Schüler.

Herr Reger: Das Zentralabitur ist eine Mogelpackung, denn es führt zu Ungerechtigkeit. Wenn man Ungleiches gleich behandelt, entsteht Unrecht! Man sollte die Prüfungsanforderungen differenzieren. Somit nimmt man mehr Rücksicht und trägt zur Gerechtigkeit bei.

Redaktion: Wie denken Sie über die sogenannte ,,Akademiker-schwemme“?

Frau Clemens: Viele Schüler sind motivierter durch die Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit unter Akademikern am geringsten vorliegt. Allerdings lässt sich der Drang auf Universitäten auch dadurch erklären, dass es in der heutigen Arbeitswelt eine mittlere Reife oft nicht mehr ausreicht.

Herr Whittaker: Vor Jahren war Deutschland als hochentwickeltes Industrieland auf Arbeiter angewiesen, welche die Industrie bedienen konnten. Heutzutage gibt es eine ,,Akademikerschwemme“, was den Bedarf an hochspezialisierten Fachkräften widerspiegelt. Allerdings muss ich angesichts privater Erfahrung sagen, dass es wieder ein Umdenken in der Gesellschaft gab, denn nicht-akademische Berufe gewinnen auch immer mehr an Bedeutung. 

Herr Reger: Bildung kann es nie genug geben! Das Problem ist aber, dass Akademiker nach ihrer Ausbildung keine Arbeit finden können. Des Weiteren halte ich das Losverfahren an Universitäten bezüglich der Studienplatzvergabe für eine schlechte Entwicklung.

Redaktion: Laut Spiegel-Artikel liegt der Anteil der guten Abi-Noten in Rheinland-Pfalz unter dem Durchschnitt.

Frau Clemens: Das Abitur in Rheinland-Pfalz hat trotzdem einen guten Ruf aufgrund des hohen Anspruchs. Es zeichnet sich durch gute Lehrpläne und Vergleichbarkeit aus. 

Herr Whittaker: Die Bundesländkoppjan99er im Osten waren darauf getrimmt, eine Elite bzw. Spitzenkandidaten zu schaffen und viel Geld in ihre Förderung zu investieren. Der Anteil der guten Abi-Noten liegt in Rheinland-Pfalz zwar unter dem Durchschnitt, dafür ist aber die Durchfallerquote am geringsten. Man macht sozusagen in der Menge Abitur. Manche haben somit zwar ein schwaches Abitur, aber wenigstens bestanden. 

Redaktion: Was können Sie einem Abiturienten, der einen Studienplatz sucht, ans Herz legen? 

Frau Clemens: Man sollte sich an mehreren Universitäten bewerben und das auch über das eigene Bundesland hinaus. Vielleicht sollte man nicht unbedingt große Metropolen anstreben, da man in der Masse der Studierenden untergehen könnte. Sinnvoll ist es außerdem, Uni-Rankings zu lesen. 

Herr Whittaker: Jeder Abiturient sollte sein Bestes geben für ein gutes Abitur, da es viele Universitäten mit Numerus clausus gibt. Aber eine gute Abiturnote sagt nicht immer sicheren Erfolg voraus, da einige Universitäten zusätzlich ihre eigenen Tests durchführen. Damit ist auch Flexibilität wichtig. Entscheidet euch möglichst nicht für ein Massenfach. Überlegt vorher gut, was ihr als Beruf machen möchtet: Was macht euch Spaß? Wo liegen eure Stärken und was ist eure Motivation? Letztendlich könnt ihr damit überzeugen.

Herr Reger: Findet einen Kompromiss. Einerseits sollte man sich fragen, wo die Fähigkeiten, Begabungen und Interessen liegen; andererseits, ob man damit Chancen auf eine Anstellung hat.

Redaktion: Möchten Sie noch etwas hinzufügen?

Frau Clemens: Meiner Meinung nach gibt es sicherlich keine Abi-Lotterie. Was zählt ist Talent, Intelligenz und Lernen mit Fleiß. 

Herr Whittaker: Als Schulleiter wünsche ich mir, dass die Berechnung von Abiturnoten nicht im Vordergrund steht. Engagement sollte man definitiv nicht vernachlässigen. Lebensläufe sind auch für Universitäten aufschlussreich. Außerdem werden Mitarbeiter mit emotionaler Intelligenz sehr gesucht. Die Zusammenarbeit im Team ist wichtig.

Herr Reger: Ich finde, dass sich Studenten aktuell oft nicht mehrtiefergehend auf Sachgebiete einlassen. Es wäre wünschenswert, dass Studenten konzentrierter sind und sich tiefer mit den Studieninhalten auseinandersetzen.

Redaktion: Herr Whittaker, Frau Clemens, Herr Reger; vielen Dank für das Interview!

Myriam K. (13)

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